FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2015

4 www.fondsprofessionell.de | 1/2015 brief der herausgeber D as Wutrede-Video des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, aufgenommen Ende Januar im Landtag von Nordrhein-West- falen, avancierte binnen kurzer Zeit zum Hit in sozialen Medien wie Twitter und Facebook, und sieht man sich den Clip an, versteht man, warum. Lindner bringt in der Wortmeldung ein zen- trales Problem Europas und auch Deutschlands auf den Punkt. Die Rede war übrigens nicht geplant, der FDP-Fraktionschef reagierte nur auf einen Zwischenruf des SPD-Vorsitzenden Volker Münchow. Der hatte hämisch an Lindners Scheitern als Jungunternehmer während der Dotcom-Phase erinnert und damit die Reaktion des FDP-Mannes erst ausgelöst. Der Vorwurf gegenüber Lindner kam dabei im Regionalparlament zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, denn in ihrer Regierungserklärung hatte die SPD-Landeschefin Han- nelore Kraft gefordert: „ Ein starker, lebendiger Standort braucht ... innovative Gründer.“ Lindner nahm Münchows Zwischenruf auf, um die auch in Deutschland weit verbreitete Grundhaltung gegenüber dem Unterneh- mertum bloßzustellen: Schafft es jemand aus eigener Kraft, mit einer Firma Erfolg zu haben, rückt er ins Visier der staatlichen Umverteiler (Kraft dazu in derselben Rede: „Ebenso setzen wir uns für die Erhö- hung des Spitzensteuersatzes auf hohe Einkommen ein“ ), die dabei auch stets auf die Zustimmung der breiten Masse hoffen dürfen. Fährt man ein Unternehmen aber – aus welchen Gründen auch immer – gegen die Wand, wird man als Verantwortlicher zur Unperson. Wer hingegen eine Karriere im öffentlichen Dienst wählt, darf heute mit einem im Durchschnitt höheren Lebenseinkommen rechnen als viele in der Privatwirtschaft tätige Menschen, ohne dabei jemals ein Risiko eingehen zu müssen. Dass immer mehr junge Menschen eine solche Karriere anstreben, ist daher keine Überraschung. Und jene, die sich nicht vorstellen können, in einem solchen Apparat zu agieren, ver- lassen das Land, um anderswo die Chance auf Erfolg zu suchen. Wer Lindners Wutausbruch als parteipolitisches Statement abtut, missversteht unsere Lage. Das so erfolgreiche Konzept der sozialen Marktwirtschaft hat in großen Teilen Europas inzwischen eine Voll- kasko-Mentalität geschaffen. Risiken sind verpönt, wer Geld inves- tiert, will Garantien sehen. Geht etwas schief, muss ein Schuldiger gefunden werden. Beim kleinsten Problem wird nach dem Staat gerufen, er soll alles regeln beziehungsweise reparieren. Es ist daher alles andere als ein Zufall, dass Facebook, Amazon, Apple und Goo- gle US-Unternehmen sind. Visionäre Unternehmensgründer wie Ste- ve Jobs würden in Deutschland und in vielen anderen europäischen Ländern heute vermutlich schon bei der Firmengründung an der da- mit verbundenen Bürokratie scheitern oder sich aus Angst vor einem Flop lieber eine Anstellung in einem etablierten Unternehmen suchen. Das Wirtschaftsmagazin „Brand Eins“ brachte auf dem Cover der Oktober-Ausgabe 2014 ein Zitat von Max Levchin: „Das erste Un- ternehmen, das ich gegründet habe, ist mit einem großen Knall ge- scheitert. Das zweite Unternehmen ist ein bisschen weniger schlimm gescheitert, aber immer noch gescheitert. Und wissen Sie, das dritte Unternehmen ist auch anständig gescheitert, aber das war irgendwie okay. Ich habe mich rasch erholt, und das vierte Unternehmen über- lebte bereits. Es war keine großartige Geschichte, aber es funktio- nierte. Nummer fünf war dann Paypal.“ Warum erzählen wir Ihnen das? Nun, wer Kapital investiert bezie- hungsweise Anleger berät, muss sich auch die Frage stellen: Ist Europa, das sich derzeit allemAnschein nach ja konjunkturell etwas erholt, langfristig betrachtet eine Umgebung, die Wachstum und Erträge erwarten lässt? Die Antwort muss sich jeder selbst geben, da- bei sollte man aber bedenken, dass es auch Regionen gibt, in denen die Verhältnisse anders sind. Wachstum entsteht dadurch, dass Men- schen Ideen haben und dann das Risiko eingehen, diese Ideen in Ge- schäftsmodelle zu verpacken. Dazu benötigen sie in aller Regel Start- kapital, und wer ihnen dieses Geld gibt, darf hoffen, an einer günsti- gen Entwicklung teilzuhaben. Wer ausschließlich risikolos im eigenen Land investieren will, sollte diese Hoffnung lieber begraben und dabei auch berücksichtigen, dass „risikolos“ nur eine Fiktion ist. Denn wer niemals ein Risiko eingeht oder nicht zulässt, dass dies ein anderer tut, riskiert auf lange Sicht Kopf und Kragen. Wir möchten uns an dieser Stelle auch in diesem Jahr wieder bei allen Teilnehmern des FONDS professionell KONGRESS bedanken. Ihr Interesse und Ihr Mitwirken hat die Veranstaltung auch 2015 zu einem Erfolg gemacht. Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Warum eine Wortmeldung des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner im Landtag von Nordrhein-Westfalen uns alle angeht und auch für die Finanzberatung relevant ist. No Risk, No Fun Mamdouh El-Morsi, Gerhard Führing

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