FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2015
202 www.fondsprofessionell.de | 4/2015 sagt D’Agnone. „Wir weisen die Bank darauf hin, dass ihre Widerrufsbelehrung falsch ist, und verhandeln dann über günstigere Kondi- tionen. Vielleicht liegt der Zins dann nicht bei 1,7 Prozent wie beim billigsten Wettbewerber, sondern bei 1,9 Prozent. Der große Vorteil für den Kunden besteht jedoch darin, dass er die günstigeren Zinsen sofort erhält. Ein Prozess vor Gericht dagegen kann sich durchaus über ein Jahr hinziehen.“ D’Agnone zufolge hat sein Unternehmen, das acht Mitarbeiter beschäftigt, bislang mehr als 500 Immobiliendarlehen abgewickelt oder optimiert. Auch andere Spezialisten verfügen über entsprechende Erfahrung, darunter große Prozessfinanzierer wie Foris und Legial. Das Verbraucherportal „Finanztip“ empfiehlt als Prozessfinanzierer Bankkontakt aus Berlin und nennt mehrere erfahrene Rechtsanwalts- kanzleien, darunter Baum, Reiter & Collegen aus Düsseldorf und Gansel aus Berlin. Widerruf von Lebenspolicen Der Widerrufs-Joker zieht auch bei Lebens- und Rentenversicherungen. Betroffen sind Verträge, die zwischen Juli 1994 und Ende 2007 abgeschlossen wurden. Der Bund der Versicherten hat Policen aus diesen Jahren ei- ner Stichprobe unterzogen. „Unsere Ergebnis- se zeigen, dass bei über 60 Prozent aller Ver- träge die Widerspruchsbelehrung falsch war“, sagt Vorstandssprecher Axel Kleinlein. Viele laufende oder auch bereits gekündigte Versi- cherungen können daher rückabgewickelt werden. „Das lohnt sich meist allerdings nur, wenn der Rückkaufswert der Police geringer ist als die Summe der geleisteten Einzahlun- gen“, sagt D’Agnone. Auch die steuerlichen Aspekte seien zu berücksichtigen. „Es gibt Marktteilnehmer, die jede Lebensversicherung plattmachen. Das ist nicht unser Ansatz. Wenn ein Kunde aber über 15 Jahre hinweg in Sum- me 60.000 Euro einbezahlt hat und der Rück- kaufswert nur bei 50.000 Euro liegt, lohnt es sich schon, über eine Rückabwicklung nach- zudenken.“ Mehr als 100 solcher Fälle habe die GfK bereits abgeschlossen. Drittes Standbein der GfK ist die Rückab- wicklung gefloppter Beteiligungsmodelle. Hier ist der Hebel nicht die falsche Widerrufs- belehrung, sondern die fehlende Aufklärung über Kickbacks durch die vermittelnde Bank. Geschlossene Fonds, die von freien Beratern vermittelt wurden, packt die GfK nicht an, schließlich galten für sie mit Blick auf die Provisionsoffenlegung bis vor wenigen Jahren deutlich laxere Vorschriften als für die Ban- ken. Es ist daher viel aufwendiger, einen für den Anleger erfolgreichen Prozess zu führen. Außerdem würden viele GfK-Vertriebspart- ner, die selbst unabhängige Finanzberater sind, wohl davor zurückschrecken, den Kolle- gen vor Gericht zu zerren, der den Fonds einst vermittelt hatte. BERND MIKOSCH | FP Foto: © GfK; Arne9001 | Dreamstime.com; C. PicturePeople GmbH & Co KG Volker D’Agnone, GfK: „Die allermeisten Institute und Kunden wollen nicht den streitigen Weg.“ So funktioniert der „Widerrufs-Joker“ für Immobiliendarlehen Wegen fehlender oder falscher Widerrufsbelehrungen können tausende teure Immobiliendarlehen der ver- gangenen Jahre auch heute noch widerrufen werden. Kunden haben so die Chance, von den derzeit güns- tigen Zinsen für Hauskredite zu profitieren. FONDS professionell beantwortet die wichtigsten Fragen. Was ist der „Widerrufs-Joker“? Seit dem 2. November 2002 müssen Darlehensverträge für Immobilien eine Widerrufsbelehrung enthalten. Beim Großteil der bis 2010 abgeschlossenen Hauskredite war diese Erklärung jedoch falsch. Die Hamburger Verbraucherzentrale hat über 3.300 Verträge unter- sucht, bei mehr als 80 Prozent der Fälle entsprach die Widerrufsbelehrung nicht den Vorgaben. Juristisch bedeutet das, dass die 14-tägige Widerrufsfrist nie begonnen hat – und der Vertrag deshalb auch nach vielen Jahren noch widerrufen werden kann. Wann ist die Widerrufsbelehrung falsch? Es gibt zahlreiche Gründe, warum eine Widerrufsbelehrung feh- lerhaft ist. Verschiedene Urteile des Bundesgerichtshofs und anderer Gerichte stellen unter anderem darauf ab, dass die Verbraucher nicht korrekt über die zu beachtende Frist aufgeklärt wurden, der Hinweis auf die Rechtsfolgen fehlte, ergänzende Formulierungen oder Fußnoten ver- wendet wurden, die den Kreditnehmer verwirren können, oder die Klausel nicht auf den Einzelfall angepasst wurde. Auf der sicheren Seite sind Banken, die vollständig die amtliche Musterwiderrufsbelehrung verwendet haben. Dazu durften sie allerdings nicht von den inhaltlichen und gestalterischen Vorgaben des Musters abweichen, was nur selten vorkam. Welcher Vorteil winkt? Das gemeinnützige Verbrau- cherportal „Finanztip“ rechnet an einem Beispiel vor, wie viel Geld ein Immobilienbesitzer dank des Widerrufs- Jokers sparen kann. Er hat Anfang 2009 ein Darlehen über 200.000 Euro zu 4,5 Prozent Zinsen aufgenommen, die Zinsbindung beträgt zehn Jahre. Der Kunde zahlt monat- lich 1.000 Euro für Zins und Tilgung. Die Restschuld am Vertragsende 2019 beläuft sich auf über 162.000 Euro. Widerruft er diesen Vertrag und schließt für den aktuellen Restbetrag einen neuen Kredit für zwei Prozent Zinsen ab, reduziert das die Schulden in fünf Jahren auf rund 150.000 Euro. Das bedeutet eine Ersparnis von etwa 12.000 Euro. „Zusätzlich erhalten Darlehensnehmer auch noch Nutzungsersatz, weil die Bank mit den Zins- und Tilgungsleistungen bis zum Widerruf wirt- schaften konnte“, schreibt „Finanztip“ und verweist auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 22. September 2015 (Az. XI ZR 116/15). Dieser „Nutzungsersatz“ beläuft sich auf fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Das bringt dem Kunden zu- sätzliches Geld. Was passiert nach dem Widerruf? Ein Kunde, der den Widerruf ausspricht, muss das Darlehen in- nerhalb von 30 Tagen zurückzahlen – er sollte sich also rechtzeitig um eine neue Finanzierung geküm- mert haben. Die Bank muss alle Zins- und Tilgungs- leistungen erstatten und dafür einen „Nutzungsersatz“ zahlen (siehe oben). Im Gegenzug darf die Bank für die Restschuld die vereinbarten Zinsen beziehungsweise eine entsprechende Vorfälligkeitsentschädigung verlangen. Wie lange gilt der Widerrufs-Joker noch? Geht es nach dem Willen des Bundesrats, läuft das Widerrufsrecht für die Altverträge der Jahre 2002 bis 2010 im Juni 2016 ab. Sie will damit Rechtssicherheit für die Banken schaf- fen, denen ein milliardenschwerer Schaden droht. Eine entsprechende Regel soll in das Gesetz aufgenommen werden, mit dem die EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie in nationales Recht umgesetzt wird. Das Regelwerk war bis Redaktionsschluss noch nicht verabschiedet. Bei künf- tigen Immobiliendarlehen soll das Widerrufsrecht auto- matisch nach einem Jahr und zwei Wochen erlöschen. Ein Hausbau ist teuer, in aller Regel ist dafür ein üppiges Darlehen nötig. Dank der sinkenden Zinsen wird die Finanzierung günstiger. vertrieb & praxis I widerrufs-joker
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