FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2015
315 www.fondsprofessionell.de | 4/2015 Vertriebspraktiken auf dem Gebiet der Geld- anlage sowie der Altersvorsorge unter die Lu- pe genommen. „In jeder Schwerpunktverbrau- cherzentrale haben wir ein Team von bislang fünf Mitarbeitern, das für die Marktbeobach- tung zuständig ist“, berichtet Ahlers. Beim Bundesverband, der das Projekt Finanzmarkt- wächter koordiniert und bei dem alle Fäden zusammenlaufen, arbeitet ebenfalls ein fünf- köpfiges Wächterteam. Geballte Kompetenz Da sich die Arbeit des Finanzmarktwäch- ters in verschiedene Schritte unterteilt, kom- men in den Teams Experten mit unterschied- lichen Qualifikationen zusammen. „Wir brau- chen zum Beispiel die Fachexpertise der Wirt- schaftswissenschaftler für spezielle Segmente des Finanzmarktes“, sagt der Projektleiter. Ebenso arbeiten in verschiedenen Schwer- punktverbraucherzentralen Naturwissenschaft- ler, die mit ihrer methodischen Kompetenz die wissenschaftlichen Sonderuntersuchungen aufsetzen können. „Und nicht zuletzt sind auch Juristen an Bord“, sagt Ahlers. Schließ- lich benötigt der Marktwächter auch rechtli- ches Fachwissen, das vor allem dann gefor- dert ist, wenn es um Sanktionen geht. Die Arbeit in den Schwerpunktzentralen beginnt mit dem Sammeln und Sichten einer Vielzahl von Informationen, Daten und Zah- len. Lieferanten dieser Fakten sind die bun- desweit 16 Verbraucherzentralen mit ihren rund 200 Beratungsstellen. „In der Praxis sieht das so aus, dass Beschwerden und Probleme mit Finanzprodukten, von denen Verbraucher in ihrer Beratungsstelle vor Ort berichten, ge- sammelt werden und bei besonderen Auffäl- ligkeiten dem zuständigen Finanzmarktwäch- terteam zugeleitet“, erklärt Ahlers. Direkt durchgeleitet Gibt ein 60-jähriger Verbraucher in Bonn also an, ihm sei ein hochspekulativer High- Yield-Fonds für die Altersvorsorge verkauft worden, so geht diese Information an die Schwerpunktverbraucherzentrale in Baden- Württemberg. Erklärt ein Oldenburger Bank- kunde, er zahle viel zu hohe Zinsen für seinen Dispokredit, wird sein Unmut dem Finanz- marktwächterteam in Sachsen mitgeteilt. „All diese Informationen analysieren die Finanz- marktwächter dann auf erste strukturelle Pro- bleme oder Muster“, sagt Ahlers. Es geht folglich nie um die Untersuchung von Einzel- fällen. Vielmehr soll herausgefunden werden, ob sich bestimmte gemeldete Missstände häu- fen und ob Ähnlichkeiten in der Vorgehens- weise zu erkennen sind. Begründeter Verdacht Ist dies der Fall, liegt also ein „begründeter Verdacht“ vor, leitet das Team in der Schwer- punktverbraucherzentrale eine Sonderunter- suchung ein. Wann genau ein begründeter Verdacht gegeben ist, nach welchen Kriterien er definiert wird oder wie viele Beschwerden dafür zusammenkommen müssen, kann Ahlers nicht beantworten. Das hänge immer vom betrachteten Produkt ab. „Natürlich ist zum Beispiel die Anzahl der gemeldeten Fälle eines von mehreren wichti- gen Kriterien“, sagt er. Wird etwa ein Bank- produkt untersucht, dann bilden die rund 1.500 deutschen Kreditinstitute die Grundge- samtheit. Soll eine Lebensversicherung unter die Lupe genommen werden, wären es die rund 90 Millionen Policen der Bundesbürger. „Daher kann man nicht grundsätzlich sagen, wie viele Verbraucher-Fälle vorliegen müssen, damit wir einen begründeten Verdacht erken- nen“, erklärt der Projektleiter. Klar ist hingegen, dass ein Wächterteam eine Untersuchung starten kann, wenn ein Der Finanzmarktwächter in Kürze Mehrere Wächter: Die Wächterfunktion übernehmen fünf Verbraucherzentralen, die sich jeweils einen bestimmten Schwer- punkt setzen (siehe rechts). Diese tragen in ihrem Bereich Informationen aus Bera- tungen der bundesweit 16 Verbraucher- zentralen mit ihren 200 Beratungsstellen zusammen. Der Bundesverband der Ver- braucherzentralen (VZBV) koordiniert die Arbeit. Die Schwerpunktverbraucherzen- tralen und der VZBV bilden gemeinsam den Finanzmarktwächter. Parallel dazu gibt es einen „Marktwächter Digitale Welt“, der sich um Telekom- und E-Commerce- Dienstleistungen kümmert. Seit Jahresbeginn am Start: Der Finanzmarktwächter hat seine Tätigkeit am 1. Februar 2015 aufgenommen. Neben der Entwicklung der neuen Arbeitsstruktu- ren und der Rekrutierung von Personal treiben die Schwerpunktverbraucherzen- tralen und der VZBV auch den regulären Betrieb voran. Es werden bereits Daten ge- sammelt, mehrere Sonderuntersuchungen laufen schon. Der Aufbau der gesamten Wächterorganisation wird bis Ende 2017 dauern. Ab 2018 soll der Finanzmarkt- wächter in den Vollbetrieb starten. Aufgaben und Ziele: Der Wächter soll den deutschen Markt für Finanz- produkte aus Sicht des Verbrauchers beobachten und analysieren. Ziel ist es, Missstände und negative Ent- wicklungen wie fragwürdige Ver- triebspraktiken oder für den Verbrau- cher ungeeignete Produkte zu erken- nen. Durch die Presse, auf seiner Homepage und bundesweit in allen Verbraucherzentralen informiert der Marktwächter die Öffentlichkeit über entdeckte Fehlentwicklungen. Außer- dem setzt er die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) und die Gewerbeaufsicht in Kenntnis. Über die Verbände geht er auf die Anbieter zu. Der Marktwächter kann sie aber auch direkt ansprechen. Arbeitsweise: Die Schwerpunktver- braucherzentralen sammeln Daten. Entdecken sie auffällige Produkte oder Anbieter, häufen sich bestimmte Be- schwerden oder Problemfälle, analy- sieren sie diese in wissenschaftlichen Sonderuntersuchungen. Sie erstellen auch Untersuchungen, die auf Ver- braucherumfragen beruhen. Sanktionen: Der Finanzmarktwächter ist Teil der zivilgesellschaftlichen Arbeit der Verbraucherzentralen. Er ist keine staatli- che Institution mit hoheitlichen Befugnis- sen. Daher hat er nicht die Möglichkeit, aufsichtsrechtliche Schritte einzuleiten, das kann nur die Bafin. Aber: Die einzel- nen Verbraucherzentralen und der VZBV dürfen Anbieter von Finanzprodukten und Vermittler abmahnen und Musterverfahren vor Gericht führen. Ergebnisse: Drei Sonderuntersuchungen sind bereits weit fortgeschritten. Die The- men: Transparenz von Standmitteilungen bei Lebens- und Rentenversicherungen, Transparenz von Dispositionskrediten so- wie bedarfsgerechte Anlageberatung und Altersvorsorge. Erste Ergebnisse sollen voraussichtlich noch bis Ende 2015 ver- öffentlicht werden. Finanzierung: Die Finanzierung des Finanzmarktwächters erfolgt aus Steuer- mitteln. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz fördert das Pro- jekt und den „Marktwächter Digitale Welt“ bis Ende 2017 außerdem mit insgesamt 5,6 Millionen Euro jährlich. Werner Bareis, Verbraucher- zentrale Baden-Württemberg, zuständig für Geldanlage/ Altersvorsorge. Ulrike Brendel, Verbraucher- zentrale Bremen, zuständig für alle Themen rund um die Immobilienfinanzierung. Sandra Klug, Verbraucher- zentrale Hamburg, zuständig für alle Themen rund um Versicherungen. Wolf Brandes, Verbraucherzen- trale Hessen, zuständig für alle Themen rund um den grauen Kapitalmarkt. Dr. Carmen Friedrich, Verbrau- cherzentrale Sachsen, zuständig für Bankdienstleistungen und Konsumentenkredite .
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