FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2015

steuer & recht I lothar binding I spd 318 www.fondsprofessionell.de | 4/2015 Foto: © Tim Flavor W enn Lothar Binding, finanzpoliti- scher Sprecher der SPD-Bundes- tagsfraktion, erklärt, wo ein anderer Politiker arbeitet, dann deutet er in den Innen- hof, nickt zu irgendeinem Fenster hinüber und sagt locker: „Da wohnt der.“ Bindings eigener „Wohnsitz“ befindet sich für 20 Wochen des Jahres am Platz der Republik 1 in 11011 Berlin. In diesem Gebäude des Deutschen Bundestages hat Binding im zweiten Stock sein Büro. Großzügig und offen ge- staltet, gibt es den Blick auf die Fenster der vielen Abgeordnetenzimmer frei. Am Freitagnachmittag hat Binding es oft eilig. Um kurz nach 18 Uhr geht es nach Hei- delberg. In seinemWahlkreis Heidelberg- Weinheim ist der SPD-Mann auch an den Wochenenden ständig unterwegs. Er trifft sich mit Unternehmern, Vertretern von Vereinen, Gewerkschaften sowie Verbän- den. Und er spricht mit Bürgern über das, was sie bewegt. Immer aktuell sind die Themen Geldanlage, Altersvorsorge und Verbraucherschutz. Im Gespräch mit FONDS professionell erläutert Binding, was er von der bevorstehenden Finanz- marktnovelle erwartet und warum es nichts bringt, Märkte mit zu vielen Ein- zelvorschriften zu regulieren. Herr Binding, die Bundesregierung hat im Oktober den mit Spannung erwar- teten Referentenentwurf für ein Finanz- marktnovellierungsgesetz vorgelegt. Da- rin ist klar formuliert, dass die Koalition das Beratungsprotokoll kippen will. Ist das ein echter Fortschritt für Finanzbe- rater und -vermittler? Lothar Binding: Wenn es so kommt, dann wäre das ein großer Fortschritt für Berater und Kunden gleichermaßen. Das Beratungsproto- koll war ja nur eine reflexartige Reaktion auf Fehlberatungen. Die Idee war es, den Kunden besser zu schützen, aber das ist nicht gelun- gen. Im Gegenteil, um sich selbst abzusichern, haben Bankberater und freie Finanzvermittler in dieses Schriftstück alles hineingeschrieben, was ihnen relevant erschien. Das haben sie sich dann vom Kunden unterschreiben lassen, egal ob dieser es verstanden hatte oder nicht. Damit hat sich das Beratungsprotokoll ins Gegenteil dessen verkehrt, was wir damit er- reichen wollten. Daher finde ich es natürlich sehr gut, dass es jetzt justiert und weiterent- wickelt wird. Schließlich soll das Protokoll in der Praxis wirklich einen Sinn haben. Sie betrachten die Sache in erster Linie aus Kundensicht? Wie kommen Sie darauf? Gar nicht! Für die Berater ist die sogenannte Geeignetheitser- klärung, die an die Stelle des Beratungsproto- kolls treten soll, doch auch eine klare Verbes- serung. Die Finanzprofis haben diese enorm aufwendigen Formulare und Auflistungen ja nicht zum Spaß erstellt. Die europäische Finanzmarktrichtlinie Mifid II, die wir bis Juli 2016 umsetzen müssen und die ja Hinter- grund des Referentenentwurfs ist, sieht „Sui- tability Reports“ vor. Der englische Begriff deutet schon darauf hin: In diesen Protokollen muss der Berater nur dokumentieren, dass die empfohlenen Finanzprodukte zum Bedarf des Kunden passen. Genau so wollen wir die Geeignetheitserklärung gestalten. Diese wird nicht so zeitraubend sein, da nicht jeder Beratungsschritt protokolliert werden muss. Mit dem Beratungsprotokoll ist es ja geradezu so, als würde man eine Strecke in Millimetern messen, ohne dass man hinterher eine Über- sicht über die Kilometer hat. Noch praktischer wäre es, wenn Bera- ter künftig gar kein schriftliches Proto- koll mehr anfertigen müssten, sondern Beratungsgespräche stattdessen auf- zeichnen dürften. In der telefonischen Beratung wird das heute schon gemacht, allerdings muss das Gespräch trotzdem noch schriftlich fest- gehalten werden. Ich habe ehrlich gesagt Zweifel daran, dass ein Mitschnitt künftig das Protokoll komplett ersetzen wird, ob nun bei der Telefonberatung oder beim persönlichen Gespräch. Unsere Juristen sehen das ausgesprochen kritisch. Befürchten Sie, die Kunden könnten sich überwacht fühlen nach demMotto „Big Brother is watching you“? Na ja, das nun nicht gerade. Die Gesprä- che würden schließlich nicht heimlich unter dem Tisch aufgezeichnet, ohne dass das Gegenüber etwas davon weiß. Das hätte ja auch gar keinen Sinn, denn im Falle eines Gerichtsprozesses wegen Fehlberatung wären heimliche Aufzeichnungen als Beweismittel nicht zugelassen. Nein, unsere Juristen haben Bedenken, weil Sprachaufnahmen mögli- cherweise leicht zu manipulieren sind. Ist ein solcher Mitschnitt zum Beispiel in einem Computer gespeichert, könnte er über eine Frequenzanalyse verändert werden. Das ist der Grund, aus dem es vermutlich beim schriftlichen Protokoll bleiben wird. Übrigens waren schon Anbieter von Spracherkennungs- programmen hier und haben uns ihre ganz speziell auf Beratung ausgelegten Produkte vorgestellt. Die erkennen da schon eine Nische. Lothar Binding ist seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages. Der finanzpolitische Sprecher der SPD erklärt, welche Chancen er in der bevorstehenden Finanzmarktnovelle sieht und warum er Gesetzespakete und Einzelvorschriften, die den deutschen Markt regulieren, genau unter die Lupe nehmen will . „Wir werden regulatorische » Die Abschaffung des Beratungsprotokolls wäre für Verbraucher und Finanzprofis gleichermaßen ein großer Fortschritt. « Lothar Binding, SPD

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