FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2016

122 www.fondsprofessionell.de | 1/2016 markt & strategie I lehren aus japan Foto: © jiratto | Fotolia E r sortierte noch ein wenig seine Unter- lagen, dann sah er auf und lächelte. In klaren Worten verkündete er die Nach- richt, die selbst Topökonomen und Finanzana- lysten so nicht erwartet hatten: Die Europäi- sche Zentralbank (EZB) senke den Leitzins von 0,05 auf null Prozent, erklärte Notenbank- präsident Mario Draghi am Nachmittag des 10. März. Das Anleihenkaufprogramm wird von 60 auf 80 Milliarden Euro pro Monat ausgeweitet. Zudem will die Noten- bank künftig auch bestimmte Unterneh- menspapiere erwerben. Den Strafzins für Banken, die Geld bei der EZB parken, erhöhten Draghi und seine Kollegen von minus 0,3 auf minus 0,4 Prozent. „Das umfassende Paket zielt auf die Sti- mulierung und Erholung der europäischen Wirtschaft ab“, sagte Draghi. Die Inflation solle damit auf zwei Prozent steigen. Was alle geldpolitischen Maßnahmen der EZB bislang nicht erreicht haben, soll mit den neuen Maßnahmen nun Realität werden. Ein Blick nach Japan verrät, dass das gar nicht so einfach ist. Das Land betreibt seit 20 Jahren eine Nullzinspolitik, die Teue- rungsrate verharrt dennoch deutlich unter zwei Prozent. Kann der Präsident der Europäischen Zentralbank, können die Europäer insgesamt Lehren aus dem Fall Japan ziehen? Das Land des Lächelns erfreute sich in den 1980er-Jahren einer florierenden Wirtschaft mit stabilen Wachstumsraten. Seit 1985 trie- ben jedoch internationale Investoren in Erwar- tung einer Yen-Aufwertung die Aktien- und Immobilienpreise in Japan immer weiter in die Höhe. Nachdem die Spekulationsblase Anfang der 1990er-Jahre geplatzt war, fielen die Immobilienpreise um drei Viertel, die Aktienmärkte stürzten ab, Banken saßen auf ihren faulen Krediten. 1998 geriet Japan in eine Deflation, die das Land 15 Jahre fast un- unterbrochen im Griff hatte. Nach demAmts- antritt von Premierminister Shinzo Abe im Dezember 2012 gelang es der Regierung, durch einen Kurs wirtschaftspolitischer Ex- pansion, Nippon aus der langen Deflations- periode herauszuführen. „Abes sogenannte Drei-Pfeile-Strategie sorgte dafür, dass Japan 2014 ein vergleichs- weise kräftiges Wachstum von 1,5 Prozent verzeichnete“, sagt Ayako Fujita, Chefvolks- wirtin bei Nomura Asset Management in Tokio. Die drei Pfeile in Abes Köcher sind eine expansive Geldpolitik sowie eine flexible Fiskal- und Strukturpolitik – zusammenge- fasst auch als „Abenomics“ bezeichnet. Trotz des anfänglichen Erfolgs erreichen die Abe- nomics bisher allerdings nicht das gewünschte Ziel: eine Inflation von zwei Prozent. „Davon ist Japan weit entfernt“, erklärt Fujita. Aktuell liegt die japanische Inflationsrate bei etwa 0,2 Prozent, für das Jahr 2016 prognostiziert der Internationale Währungsfonds 0,6 Prozent. Beginn der Negativzinspolitik Besserung ist nicht in Sicht. Wenige Tage bevor Mario Draghi die Zinsen in Europa weiter senkte, begab Japan eine neue zehn- jährige Staatsanleihe – mit einer Rendite von minus 0,024 Prozent. „Da darf man sich schon die Frage stellen, ob die EZB mit ihrer jüngsten Entscheidung richtig- liegt“, sagt Ayako Fujita – oder ob sie am Beispiel Japan nicht tatsächlich etwas lernen sollte. Einer, der es wissen wollte, ist Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grü- nen im deutschen Bundestag. Deshalb ist er im Oktober vergangenen Jahres mit einer Delegation nach Japan gereist, hat Gespräche mit Vertretern der Regierungs- partei, der Opposition, der Zentralbank, der Finanzaufsicht und Experten aus dem Trotz Nullzinspolitik kommt die japanische Wirtschaft seit 20 Jahren nicht in Gang. Europa kann aus dem Beispiel Nippon interessante Schlüsse ziehen. Wirtschaft ohne Wachstum Hochmoderne City vor charmanter Kulisse: Wer in der japanischen Hauptstadt Tokio unterwegs ist, hat nicht den Eindruck, dass das Land rund 15 Jahre Deflation hinter sich hat. Geringe Preissteigerung Entwicklung des Verbraucherpreisindex in Japan und der Eurozone seit 2001 Trotz Nullzinspolitik sind die Preise in Japan kaum gestiegen, auch das Niveau in Europa stagniert seit Jahren. Quelle: Bloomberg 0 % 5 % 10 % 15 % 20 % 25 % 30 % 2010 2005 2001 ’16 Verbraucherpreisindex Eurozone Verbraucherpreisindex Japan

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