FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2016

128 www.fondsprofessionell.de | 1/2016 markt & strategie I makroökonomie Foto: © GMF D ie Kritik an der EZB wird von Mal zu Mal lauter, ihr Kurs, so der Tenor, sei falsch und führe nachweislich nicht in die gewünschte Richtung. Die gewünschte Richtung wäre natürlich ein steigendes Wirt- schaftswachstum in Europa, und hier vor al- lem in den krisengebeutelten Peripheriestaa- ten. Was man statt den Anleihenkäufen der EZB machen sollte, erklären schon viele Kri- tiker nicht mehr. In der Regel meinen sie aber, dass man sich von der aktuellen monetaristi- schen Vorgangsweise abwenden und stattdes- sen versuchen sollte, die Konjunktur mit fis- kalpolitischen Mitteln anzukurbeln. Die Band- breite der Überlegungen reicht hier von staat- lichen Investitionsprogrammen in Infrastruk- tur (siehe Kasten Seite 130) bis hin zum be- rühmt-berüchtigten Helikoptergeld. Letzteres scheint seit der jüngsten Zinssen- kungsrunde nach einer Äußerung Mario Draghis tatsächlich im Raum zu stehen. Der EZB-Chef hatte auf die Journalistenfrage, ob das eine Option sei, erklärt, dass das Thema akademisch diskutiert werde und die Noten- bank das beobachte. Die Idee dahinter ist ein- fach: Die EZB kauft keine Anleihen, sondern überweist einfach jedem EU-Bürger einen be- stimmten Geldbetrag auf sein Konto, um da- mit Konsum und Konjunktur anzukurbeln, was wiederum die Inflation weg von null in Richtung der gewünschten zwei Prozent trei- ben sollte. Obwohl ein solcher Schritt äußerst unorthodox zu sein scheint, liegt er näher, als man denken könnte. Als Deutschland 2009 Autokäufer mit der Umweltprämie – besser bekannt als Abwrackprämie – lockte, war dies Helikoptergeld, allerdings finanzierte Deutsch- land diese Maßnahme aus Reserven und nicht mit neuen Schulden. „Echtes“ Helikoptergeld, wie es derzeit von manchen vorgeschlagen wird, müsste aber mit Schulden finanziert werden. Deutschland bremst Ein solcher radikaler Richtungswechsel scheitert in Europa nach wie vor an Deutsch- land. Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht sich hier als Zuchtmeister Europas, wobei er Sparen eben nicht als Konjunkturbremse sieht. Der altgediente Politiker wiederholt in diesem Zusammenhang immer wieder, dass weitere Schulden ohne Strukturreformen keine Lö- sung seien. Schäuble wurde mit dieser Haltung nicht zufällig zu einem der belieb- testen Politiker Deutschlands. Das Lager dieser Gruppe ist in Deutschland wesent- lich größer als in anderen Eurostaaten. Auch Bundesbank-Chef Jens Weidmann glaubt nicht, dass der von Deutschland selbst beschrittene und daher auch von al- len Europartnern verlangte Konsolidie- rungskurs falsch ist. Weidmann betont seit Jahren, dass über die langfristige Bezie- hung zwischen stabilen Staatsfinanzen und einem soliden Wirtschaftswachstum ge- nerell gar nicht diskutiert werden müsse: „Mehrere Studien haben bestätigt, dass sich solide öffentliche Finanzen auf lange Sicht förderlich auf das Wachstum auswir- ken.“ Weidmann lässt sich aber ein Hin- tertürchen offen, wenn er hinzufügt: „Die Beziehung zwischen Konsolidierung und Wachstum in der kurzen Frist wird aller- dings kontrovers diskutiert.“ Keynes’ Rückkehr? Nun könnte man schon die Frage stellen, was denn „kurz-“ und was „langfristig“ ist, die europäische Wirtschafts- und Währungs- krise begleitet uns ja schon seit etlichen Jahren, und bislang hat man kein Gegenmittel gefunden. Letztlich dreht sich die Frage im Wesentlichen um den Punkt: Dürfen und sol- len wir die Staatsverschuldung vom aktuellen Niveau noch stärker ausweiten oder nicht? Bislang lautet die generelle Antwort darauf Nein – nicht zuletzt deshalb, weil man immer noch hofft, dass die Notenbanken mit ihrer Zinspolitik beziehungsweise ihren Quantita- tive-Easing-Programmen den Karren aus dem Dreck ziehen können. Und was die USA be- trifft, können sie durchaus darauf verweisen, dass diese Strategie nicht vollständig erfolglos war. Allerdings steht der Erfolg nach wie vor auf wackligen Beinen, und die Nervosität an den Märkten in den ersten zwei Monaten die- ses Jahres war nicht zuletzt auch darauf zu- rückzuführen, dass man ein Abrutschen der US-Wirtschaft in eine Rezession befürchtete. Und je schwächer sich die US-Wirtschaft in den kommenden Monaten entwickelt, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass welt- Aktuell setzt die Welt immer noch auf Geldpolitik, die von den Notenbanken gesteuert wird. Die Stimmen, die eine andere Politik fordern, werden aber lauter. Duell der Denkschulen Lässt sich mit einer offensiveren Fiskalpolitik (Stichwort: „Helikoptergeld“) Europas Wirtschaft ankurbeln? Die Akademiker sind darüber genauso uneins wie die Politiker, und wer recht hat, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen.

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