FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2016

A m Deutschen Institut für Normung (DIN) wird immer an Spezifikationen gearbeitet, derzeit etwa zu „Grillbri- ketts aus hochreinem Kohlenstoffkonzentrat“ und zur „Farbkennzeichnung von Rotorblät- tern an Windenergieanlagen“ . Dabei geht es im „Haus der Normung“ am Berliner DIN- Platz seit jeher eher technisch zu. Hin und wieder beschäftigt sich das Institut allerdings auch mit Finanzthemen. Im März 2014 etwa veröffentlichte es gemeinsam mit Defino aus Heidelberg die DIN Spec 77222 „Standardi- sierte Finanzanalyse für den Privathaushalt“ . Die Grundzüge des Regelwerks waren schon 2007 beim Finanzvertrieb Formaxx ent- standen. Darauf aufbauend entwickelte Defino 2011 gemeinsam mit Wissenschaftlern die „Deutsche Finanz Norm“, aus der schließlich die DIN-Spezifikation entstand. Anfangs wur- de die Initiative von der Branchen- öffentlichkeit eher belächelt, doch diese Zeiten sind längst vorbei. Schließlich könnte sich das derzeit unverbindliche Regelwerk zu einem Musteranalyseprozess weiterent- wickeln. Das ruft sowohl Kritiker als auch Befürworter auf den Plan – mit jeweils guten Argumenten. Dass die Diskussion langsam lau- ter wird, liegt an einem Schritt des Defino-Teams um Ex-MLP-Personal- chef Klaus Möller: Im Juni 2014 beantragte die Gesellschaft beim DIN-Institut die Überführung ihrer Spezifikation in eine vollwertige Norm. Läuft alles gut, könnte es schon Ende dieses Jahres so weit sein. Gelingt das Defino tatsäch- lich, würde der Druck auf die Branche steigen, bei der Be- darfsanalyse diesen Regeln zu folgen. Befürworter betonen, dass das Regelwerk den Bera- tungsprozess entscheidend verbessert – nicht nur für Kunden, sondern auch für Berater. Andere Branchen- experten bemängeln dagegen einige Details der DIN Spec 77222, die ihrer Meinung nach geändert wer- den müssten, bevor die Spezifikation zur Norm wird. Sonst könnten Kunden mit für sie unpassenden Produkten enden. Einstieg in die Beratung DIN Spec 77222 definiert eine Rundum- Analyse, mit der überprüft wird, ob der Ver- sicherungs- und Vorsorgeschutz einer Person vollständig und ausreichend ist (siehe Kasten unten). Experten begrüßen, dass die Absiche- rung der wichtigen Lebens- und Finanzrisiken Vorrang vor der Altersvorsorge genieße. Posi- tiv sei auch, dass überhaupt eine Beratungs- logik vorgegeben werde, weil viele Vermittler ihre Kunden bislang erschreckend unsystema- tisch beraten würden. Die DIN Spec biete einen weiteren Vorteil, erläutert Torsten Sonntag, Fachbereichsleiter Vertriebs- prozesse und -anwendungen bei der Deut- schen Bank, die ein Online-Tool auf Basis der Spezifikation anbietet: „Die wenigsten Kun- den kommen mit demWunsch, sich ganzheit- lich beraten zu lassen, sondern wegen einer konkreten Fragestellung. Mithilfe der DIN Spec lässt sich dieser konkrete Bedarf in die finanzielle Gesamtsituation des Klienten ein- ordnen, und weitere für den Kunden wichtige Bedürfnisse können erkannt und gelöst wer- den.“ Defino-Chef Möller zufolge trägt das Re- gelwerk auch zum Schutz der „kleinen“ Ver- braucher bei: „Die bisher verfügbaren Kon- zepte für eine ganzheitliche Beratung eignen sich vor allem für vermögende Kunden, da sie sehr komplex sind und die Abfrage damit lan- ge dauert“, sagt er. Wer als Berater Normal- verdiener betreuen wolle, müsse seinen Zeit- aufwand im Rahmen halten, sonst rechne sich das Geschäft für ihn nicht. „Es gibt ein Tool auf Basis der DIN Spec, mit dem Berater in zehn Minuten für wahrscheinlich mehr als 80 Prozent der Menschen eine erste Bedarfsana- lyse erstellen können“, so Möller. Die Zusammenarbeit mit dem DIN-Institut ist letztlich dem gleichen Grund geschuldet: „Das DIN-Institut hat in Deutschland einen tadellosen Ruf, der Berater kann sich mit der DIN Spec auf eine Autorität berufen. Damit gehören hoffentlich auch die leidigen Dis- kussionen über die Provision der Vergan- genheit an“, so Möller. Ganz uneigennützig ist sein Engagement freilich nicht: Defino verdient Geld über den Verkauf von Software- lizenzen und die Zertifizierung von Beratern und Programmen. Teufel im Detail Experten weisen allerdings auf mögliche Fehlerquellen im Regelwerk hin, die zulas- ten des Kunden gehen könn- ten. Einige beanstanden etwa, dass die Systematik produkt- statt bedarfsorientiert ist. „Eine mögliche Lücke bei den Altersbezügen durch eine Berufsunfähigkeit wird bei- spielsweise nicht erfasst, ein- Das Deutsche Institut für Nor- mung hat eine ganz besondere Adresse: Seit Juli 2011 heißt die Freifläche vor dem Hauptsitz des Instituts „DIN-Platz“. 224 www.fondsprofessionell.de | 1/2016 vertrieb & praxis I defino Foto: © DIN Die DIN-Spezifikation „Standardisierte Finanzanalyse für den Privathaushalt“ soll zur echten Norm werden. Damit macht sich Defino nicht nur Freunde. Normierte Beratung Spezifikationen für eine systematische Finanzberatung DIN Spec 77222: Ein auf dieser Spezifikation basierendes Tool fragt hintereinander drei Be- reiche ab und berechnet die Deckungslücken. Im ersten Teil (Absicherung) werden unter an- derem Privathaftpflicht und Hausrat geprüft. Teil zwei durchleuchtet die vorhandene Altersvor- sorge. Zuletzt kommt die Vermögensbildung. In jedem Bereich wird priorisiert, beispielsweise hat eine Privathaftpflicht Vorrang vor anderen Risikoabsicherungen. DIN Spec 77223: Die Spezifikation „Stan- dards und Regeln für die Prüfung von Kennt- nissen und Erfahrungen der Privatanleger mit Vermögensanlagen“ setzt auf den Punkten zwei und drei der DIN Spec 77222 auf. Dabei wer- den die Risikobereitschaft des Anlegers anhand von fünf Risikoklassen festgestellt und die „finanzielle Risikotragfähigkeit durch Liquidität und Vermögen“ geprüft. Das Vorgehen ent- spricht dem Wertpapierhandelsgesetz.

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