FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2016

236 www.fondsprofessionell.de | 1/2016 vertrieb & praxis I wissenschaft und anlageberatung Foto: © Christoph Hemmerich N ull–20/20–40/40–100. Martin Weber steht in seinem Büro am Lehrstuhl für Finanzwirtschaft der Universität Mannheim und schreibt blaue Zahlen an eine weiße Tafel. „Nehmen wir an, ein Finanzbe- rater legt seinem Kunden diese Skala vor“, sagt der Lehrstuhlinhaber und tippt auf die eben angeschriebene Reihe. „Stellt er ihm nun die Frage: ‚Na, welche Summe würden Sie denn monatlich gern sparen?‘, so nennt der Kunde ziemlich sicher einen Betrag zwischen 20 und 40 Euro“, erklärt Weber. Warum? Ganz einfach: Studien haben gezeigt, dass Menschen gern den goldenen Mittelweg wäh- len – auch in Finanzangelegenheiten. Weber zeichnet die nächste Zahlenreihe an die Tafel: 0–60 / 60–80 / 80–120. „Was ge- schieht wohl, wenn derselbe Berater demsel- ben Kunden diese Skala vorlegt?“, fragt der Finanzprofessor. Und er gibt selbst sofort die Antwort: „Das Gleiche wie im ersten Fall: Der potenzielle Sparer wählt wieder eine Zahl aus der mittleren Spanne“, sagt Weber. Nur dass die Summe jetzt höher ausfällt. „Wer seine Klientel also dazu bringen möchte, monatlich einen bestimmten Betrag anzulegen, sollte die entsprechende Zahl in der Mitte einer dreiteiligen Skala platzieren“, erklärt Weber. „Der Einsatz ganz bewusst ge- stalteter Skalen ist eine Form von Nudging.“ Eine Art sanfte Manipulation also. Den Kunden schubsen Der Begriff Nudging kommt vom engli- schen Wort „nudge“, zu Deutsch „Schubs“ oder „Stups“. Mit dieser Methode, die aus der Verhaltensökonomie stammt, werden Men- schen dazu gebracht, bestimmte Entscheidun- gen zu treffen, ohne dass sie es merken. Das klappt. So hat ein Experiment der NewYorker Eliteuniversität Cornell gezeigt, dass Besucher von Kantinen eher zu gesunden Speisen grei- fen, wenn sie an der Essensausgabe die eigene Figur im Spiegel sehen. Auch Finanzberater haben die Möglichkeit, ihre Kunden mit Nudging zu beeinflussen. Dafür können sie ihnen mit Bedacht gewählte Grafiken vorlegen, suggestiv berichten, wie „die meisten anderen“ investieren, oder von der eigenen Anlagestrategie schwärmen. Dass diese Art der Manipulation funktioniert, haben Studien klar belegt. Experten wie Professor Weber mahnen jedoch, manipulative Strate- gien – wenn überhaupt – immer zum Wohl des Kunden einzusetzen. Wer sie nur nutzt, um eine möglichst hohe Provision heraus- zuholen, zieht am Ende mit hoher Wahr- scheinlichkeit selbst den Kürzeren. Die richtigen Anker setzen „Es gibt ganz verschiedene Varianten von Nudging“, erklärt Weber. Eine davon wird „Anchoring“ genannt. Dabei setzt der Finanz- berater oder Versicherungsvermittler je nach verfolgtem Ziel verbal sogenannte Anker. Die Methode ist ebenso einfach wie wirkungsvoll und funktioniert sehr gut bei Fragen. „Ist ein Kunde zum Beispiel unsicher, wie viel Geld er monatlich für die Altersversorgung sparen soll, kann der Berater ihm sagen, was die meisten anderen seiner Kunden angeblich zurücklegen“, sagt Weber. Nennt er einen sehr hohen Betrag, so wählt der Klient ver- mutlich nicht exakt diese Summe. Er wird bei seiner Entscheidung aber nur knapp darunter liegen“, erläutert der Experte. Und der Finanz- berater schneidet – sofern er eine Provision erhält – besser ab, als hätte er einen der Situa- tion des Kunden angemessenen Sparbetrag genannt. Eine andere Art, Kunden sanft in die ge- wünschte Richtung zu schubsen, ist der Ein- satz von Grafiken und Charts. „Untersuchun- gen haben gezeigt, dass Anleger sich eher für ein Investment in einen Index entscheiden, wenn man ihnen eine positive Kursentwick- lung als Kurve zeigt“, weiß Weber. Blicken die Kunden hingegen auf ein Säulendia- gramm, das dieselbe Entwicklung darstellt, sind sie skeptischer. „Zwar sind auch an einem Chart Kursverluste abzulesen, geht die Kurve insgesamt aber nach oben, stimmt dies optimistisch“, erklärt der Professor. Nach unten verlaufende Säulen eines Diagramms, die Verluste anzeigen, sind dagegen markanter – und rufen eher Bedenken hervor. So simpel ist die Sache. Vom Berater beeinflusst Auch hinter anderen Formen des Nudging stecken zum Teil Mechanismen, die fast zu einfach erscheinen, als dass sie funktionieren „Nudging“ ist eine Art der sanften Manipulation. Die Methode funktioniert auch in der Finanzberatung – aber nur wenn sie vernünftig eingesetzt wird. Erklären statt tricksen Martin Weber, Inhaber des Lehrstuhls für Finanzwirtschaftslehre an der Universität Mannheim, in seinem Büro: „Ob in einer Beratung manipuliert wird oder nicht, kann niemand überprüfen.“

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