FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2016

4 www.fondsprofessionell.de | 1/2016 brief der herausgeber I m Jahr 2000 lag das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands bei knapp 2.000 Milliarden Euro, 2015 waren es etwa 3.026 Milli- arden Euro und dabei um 110 Millionen Euro mehr als im Jahr davor. Prozentuell lag das Plus somit bei rund 1,7 Prozent. Hätte das BIP vor 15 Jahren einen Sprung um 110 Millionen Euro gemacht, hätte das einer Wachstumsrate von mehr als 5,3 Prozent entsprochen, und von 1991 auf 1992 hätte man nach einemAnstieg um 110 Mil- liarden Euro (bzw. 220 Milliarden D-Mark) sieben Prozent BIP- Wachstum gefeiert. Anders formuliert: Unsere Wirtschaft muss expo- nentiell zulegen, damit wir zufrieden sind. Ist das nicht der Fall, spre- chen wir rasch von Krise und überlegen umgehend, wie wir wieder auf den alten Wachstumspfad zurückgelangen könnten. Auch die meisten wirtschaftswissenschaftlichen Modelle unterstellen mehr oder weniger automatisch exponentielle Wachstumsraten, obwohl expo- nentielles Wachstum in einer endlichen Welt nicht unbedingt eine Idee ist, die sich aufdrängt. Weil wir in den letzten Jahren in einigen Ländern beziehungsweise Regionen aber nicht nur kein exponentielles, sondern noch nicht ein- mal lineares Wachstum hatten, wird diese These neuerdings – übri- gens keineswegs das erste Mal – verstärkt in Frage gestellt. Drei deut- sche Wirtschaftswissenschaftler publizierten im Januar eine Arbeit, in der sie untersuchten, ob reife Volkswirtschaften respektive das BIP pro Kopf in selbigen tendenziell eher linear oder doch exponentiell wachsen. Steffen Lange , Peter Pütz und Thomas Kopp, die an den Universitäten Hamburg und Göttingen forschen, verwendeten als Grundlage ihrer Berechnungen die realen Wachstumsraten von 18 Industriestaaten über den Zeitraum von 1960 bis 2013. Den Start- punkt im Jahr 1960 wählte man, um die Sondereinflüsse, die der Zweite Weltkrieg verursacht hatte, aus der Statistik rauszubekommen. Am Ende aller Kalkulationen kam heraus, dass das BIP pro Kopf in den meisten Staaten nur linear gewachsen war. In der Zusammen- fassung ihrer Arbeit schreiben die drei Ökonomen: „Insgesamt weckt unsere Analyse Zweifel an der weitverbreiteten Annahme exponen- tiellen Wachstums. (…) ein gleichförmiges Wachstum scheint eher dem zu entsprechen, was in den letzten 40 bis 50 Jahren in einigen reifen Volkswirtschaften stattgefunden hat.“ Sollte das stimmen, wären die aktuell beklagten eher mageren Wirt- schaftswachstumsraten nicht ein Problem, das sich durch die richtige Politik von Regierungen und Notenbanken lösen lässt, sondern ein Phänomen, an das wir uns besser gewöhnen sollten. Je fortgeschrit- tener eine Wirtschaft, umso geringer wäre auch die Chance, dass noch spektakuläre Wachstumsraten erzielt werden. Was hieße das hinsichtlich der Kapitalanlage? Nun, in erster Linie, dass jedes Investment, das an das Wirtschaftswachstum als solches gekoppelt ist, im Durchschnitt schwächere Erträge erwarten lässt. Das trifft logischerweise auf Staatsanleihen zu, wobei hier ohnedies kaum mehr jemand Traumrenditen erwartet. Das betrifft aber auch passive Anlageinstrumente. Wenn die Wirtschaft insgesamt langsamer wächst, intensiviert sich dadurch automatisch der Verdrängungswett- bewerb. Unternehmen, die mit neuen Ideen kommen und Käufer dafür finden, haben gute Karten, und Unternehmen, die altbekannte Produkte und Leistungen billiger oder in besserer Qualität liefern können, müssten überproportional profitieren. Am Anfang ihrer jeweiligen Erfolgsstory sind solche Unternehmen aber in der Regel nicht Bestandteil der bekannten Indizes. In selbigen findet man eher die Firmen, die von den erfolgreicheren Newcomer mittelfristig verdrängt werden. Wer die wachstumsstarken Neulinge sucht, muss sich daher aktiven Fondsmanagern anvertrauen, die solche Unterneh- men suchen und finden. Das ist zwar keine Erfolgsgarantie, bietet aber zumindest das Potenzial, erfolgreich zu sein. Dass dies sogar in Märkten wie Japan möglich ist, wo der Nikkei Index heute tiefer notiert als vor 20 Jahren, beweisen einige aktive Aktienfonds, denen es über diesen Zeitraum hinweg sehr wohl gelungen ist, den Gesamt- markt zu schlagen. Ein zweiter Aspekt ist die Höhe der privaten Vorsorge. Sollten die Wachstumsraten tatsächlich nachhaltig tief bleiben, sind die traditio- nell unterstellten Renditen für Aktien und Anleihen zu hoch. Man kann sich dann nun entweder damit abfinden, dass am Ende weniger Kapital verfügbar sein wird, oder höhere Beträge ansparen. Kunden von guten Beratern dürften sich für letztere Variante entscheiden. Allen Besuchern des FONDS professionell KONGRESS 2016 danken wir wie jedes Jahr für ihr Kommen und laden sie schon heute ein, sich den Termin für 2017 vorzumerken. Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Wir müssen uns unter Umständen damit abfinden, dass die Wachstumsraten der Wirtschaft tief bleiben. Für Anleger gibt es aber entsprechende Lösungen. Wachstum ist kein Grundrecht Mamdouh El-Morsi, Gerhard Führing

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