FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2016

W er einen Blick auf die Geschichte der Finanzmärkte wirft, wird stau- nen: Strategien, die sowohl auf stei- gende als auch auf fallende Aktienkurse wet- ten, sind mehr als 65 Jahre alt. Es war in den 1940er-Jahren, als der US-amerikanische Harvard-Absolvent und Wirtschaftsjournalist Alfred Winslow Jones auf der Suche nach zu- verlässigen Renditen ernüchtert feststellte: Kein Volkswirt oder Aktienstratege – und sei er noch so versiert – kann treffsicher voraus- sagen, wie sich die Börsenkurse entwickeln. So ersann Jones eine Strategie, die ihm immer Gewinne bescheren sollte, egal in welche Richtung sich die Aktienmärkte bewegten. Jones kaufte Titel von Unternehmen, die er für unterbewertet hielt und denen er einen Kursanstieg zutraute – er ging also long. Gleichzeitig veräußerte er über Leerverkäufe Aktien, von denen er annahm, dass sie im Kurs abrutschen würden – er shortete die Papiere. Durch den gleichzeitigen Kauf und Verkauf von Aktien gelang es Jo- nes, zumindest einen Teil des Markt- risikos auszuschalten. Im Jahr 1949 war damit die erste Long-Short- Equity-Strategie geboren, die sich mit der Zeit zur weltweit häufigsten Anlagemethode von Hedgefonds- managern entwickeln sollte. Inzwischen nutzen längst auch Publikumsfonds Long-Short-Stra- tegien. Das hat seinen Grund. „Die Vorschriften der EU-Richtlinie UCITS, in Deutschland OGAW, machen es bei vielen Hedgefondsmethoden unmöglich, sie auf Publikumsfonds anzuwenden“, erklärt Charles Lacroix. Er ist bei Rothschild & Cie. Gestion in Paris zuständig für das Ge- schäftsfeld Alternative Investments. „Long- Short Equity wird von den Regelungen aber kaum berührt, daher lässt sich diese Strategie perfekt auf den Retailbereich replizieren“, sagt Lacroix. Zwar dürfen die Manager von Publikumsfonds nicht physisch short gehen, denn Leerverkäufe sind in Europa nur Hedge- fonds erlaubt. „Aber über entsprechend struk- turierte Derivate lässt sich die Short-Seite sehr gut implementieren“, erläutert der Experte. Dazu komme noch, dass die Strategie auch für Privatanleger relativ gut verständlich sei. Natürlich tun die Schwankungen an den weltweiten Aktienmärkten und das dauerhafte Niedrigzinsniveau ein Übriges, sodass Long- Short-Equity-Fonds momentan wieder im Kommen sind. Das gilt besonders für soge- nannte marktneutrale Produkte. „In Zeiten, da zumindest mit Bundesanleihen praktisch keine Renditen mehr zu erzielen sind, stellen diese Fonds eine gute Alternative dar“, erklärt Mar- kus Weis, Leiter Third Party Distribution für Deutschland und Österreich bei Goldman Sachs Asset Management. Gerade für Anle- ger, die bei Aktieninvestments zurückhaltend sind. Zwar entwickeln sich diese Fonds, ob- wohl sie „marktneutral“ heißen, in der Regel nicht völlig unabhängig von den Bewegungen an den Aktienmärkten. Bei Kurseinbrüchen können auch Long-Short-Fonds an Wert ver- lieren. Meist fallen die Verluste aber deutlich kleiner aus als bei reinen Long-Investments. Jagd nach dem puren „Alpha“ Ihre Vorzüge erreichen marktneutrale Long- Short-Fonds durch Strategien, die dann doch ein wenig komplexer sind als die des „Hedge- fonds-Vaters“ Jones. „Wie ihr Name schon zumAusdruck bringt, versuchen die Manager solcher Produkte, das Marktrisiko zu neutra- lisieren und den Anlegern Renditen allein durch ihre Aktienauswahl zu bescheren“, er- klärt Lacroix. Sie sind also „Alpha-Jäger“. Um reines Alpha zu erreichen, suchen sie nach aussichtsreichen Long-Positionen. Dabei gehen sie entweder nach quantitativ- regelgebundenen Methoden vor oder selektie- ren die Papiere selbst aufgrund ausgefeilter Analysen und ihrer Erfahrung. Den Long-Po- sitionen stellen sie nun Short-Positionen ge- genüber, etwa indem sie durch den Verkauf eines Index den gesamten Markt oder einen bestimmten Sektor eliminieren. Markus Weis erklärt es anhand eines Bei- spiels: „Angenommen, ein Fondsmanager geht für 10.000 US-Dollar mit einer IT-Aktie long, weil er davon überzeugt ist, dass das neue Produkt des Unternehmens er- folgreich sein wird“, sagt er. „Gleichzeitig neutralisiert er den Gesamtmarkt, indem er den Index S&P 500 mit ei- nem ETF-Future für eben- falls 10.000 US-Dollar shor- tet“, erläutert Weis. Damit aber noch nicht genug. „Ganz sauber wäre der Hedge erst, wenn der Manager nicht den Gesamtmarkt, sondern den Sektor neu- Daumen hoch, Daumen runter: Long-Short- Strategien verspre- chen in allen Marktlagen stabile Erträge. Doch völlig risikolos ist der Ansatz nicht. Wie so oft kommt es auf das richtige Gespür und eine breite Streuung des Einsatzes an. 94 www.fondsprofessionell.de | 1/2016 markt & strategie I marktneutrale fonds Foto: © Fotolia | Syda Productions In Zeiten magerer Zinsen und wackeliger Börsen sind marktneutrale Fonds gefragt. Nur wenige sind wirklich gut. Immerhin: Auch Kapitalvernichter gibt es kaum. Rauf? Runter? Egal!

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