FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2016

E s war ein Weckruf, mit dem die Rating- agentur Moody’s im März die Branche aufrüttelte: Die Bonitätswächter warnen vor einem Kollaps von Lebensversichern. Denn die von der lockeren Geldpolitik extrem niedrig gehaltenen Zinsen bugsieren beson- ders die Assekuranz in eine schmerzliche Lage. Die Lebensversicherer schleppen aus vielen älteren Verträgen noch hohe Rendite- versprechen mit, die sie trotz des Niedrigzins- umfelds erfüllen müssen. Versicherer können aber nicht einfach auf lukrativere, aber riskan- tere Investments wie Aktien ausweichen – sie sind in mager verzinsten Anlagen gefangen. Dieses Dilemma erschüttert die einst als krisenfest geltende Versicherungsbranche. Berater stehen vor der Frage, ob sie Produkte bestimmter Häuser über- haupt noch empfehlen können, wenn manch ein Anbieter droht, zwischen Renditeversprechen und Niedrigzinsen zu zerbrechen. FONDS professionell beleuchtet die Lage der Branche und zeigt, wie Berater Risiken erkennen können. „Es ist nicht mehr gottgegeben, dass ein Lebensversicherer auf Ewigkeit besteht“, meint Reiner Will, Geschäftsführer der Rating- agentur Assekurata. „Finanzstärke ist bei Ver- sicherern keine unfehlbare Eigenschaft mehr.“ Je länger die Zinsen niedrig bleiben, desto mehr gerate die Branche unter Druck. Dies müsse Beratern und Kunden klar sein. „Einzelne Häuser könnten in Schwierigkeiten geraten, ihre Zusagen zu erfüllen“, prophezeit Will. Noch seien Insolvenzen zwar ein gutes Stück weit entfernt, doch dieses düs- tere Szenario sei denk- bar geworden, meint er. Wenn einzelne Versicherer wegen der Magerzinsen in Zahlungsschwierig- keiten geraten, könne dies das Vertrauen in die gesamte Branche erschüttern, warnen die Analysten von Moody’s in ihrem Report. Das könne den Absatz schmälern, was wiederum die heikle Lage der gesamten Branche weiter verschärfen würde. Damit es nicht so weit kommt, hat der Ge- setzgeber die Zinszusatzreserve eingeführt. Seit 2011 müssen Versicherer Polster bilden, wenn der Ertrag aus Kapitalanlagen nicht aus- reicht, um die Garantien zu bedienen. „Das Instrument der Zinszusatzreserve leistet das, was es soll: Die Versicherer können ihre Garantien erfüllen“, meint Stephan Kalb, Teamleiter Versichereranalyse bei Fitch Ra- tings Deutschland. Allerdings bringt dieser Mechanismus einen Nebeneffekt mit sich: „Das Kapital fließt nicht in die Überschuss- beteiligung, sondern in Reservepositionen zur Erfüllung zukünftiger Garantien“, erläutert Kalb. Sprich: Damit Kunden mit alten Verträ- gen ihre hohen Garantiezinsen erhalten, müs- sen alle auf Überschüsse verzichten. Von den Reserven zehren Grundsätzlich erachtet Kalb die Lage der Versicherer daher nicht als aussichtslos. Zu- dem hätten die Unternehmen noch alte Anlei- hen mit hohen Kupons in ihren Portfolios. „Das dauert noch Jahre, bis diese im Bestand vollständig abschmelzen.“ Es bestehen also Reserven aus nicht realisierten Kursgewinnen: Falls nötig, können die Häuser die Papiere mit Gewinn verkaufen. Zudem haben sich die Konzerne auf die Niedrigzinsphase eingestellt und bieten neue Verträge mit deutlich geringe- ren oder ganz ohne Garantien an (siehe auch die Beiträge ab Seite 280). Der wichtigste Punkt sei die konservative Kalkulation der Verträge. Diese versiche- rungsmathematischen Überschüsse würden ausreichen, damit die Assekuranz auch bei niedrigen Anlageerträgen ihre Zinsverspre- chen erfüllen kann. Zuletzt kommen Kosten- einsparungen durch effizientere, automa- tisierte Prozesse in der Verwaltung hinzu. Kalb will aber nicht aus- schließen, dass einzelne Häuser in Schieflage geraten könnten. Größere Sorgen macht sich Kalb erst, wenn die Zinsen wieder steigen. „Der Mecha- nismus der Zinszusatzre- serve führt dazu, dass die Kalkulation hinterherhinkt. Versicherer müssen noch Rückstellungen bilden, wenn die Zinsen schon wieder gestiegen sind.“ Der Gesetzge- ber sei sich dieses Problems aber be- wusst und werde wohl die Kalkulation ändern. Schlechtes Zeugnis: Exper- ten warnen vor Ausfällen unter Lebensversi- cherern. Der unumstößli- che Liebling der deutschen Sparer verliert den Nimbus der Unfehlbarkeit. 266 lebenspolicen-spezial I ratings Foto: © grafikplusfoto | Fotolia, Fitch Ratings Geldflut und Niedrigzinsen setzen die Branche der Lebensversicherer unter Druck. Analysten rechnen sogar mit Pleiten. Wie Berater standfeste Häuser finden. Akute Notenschwäche

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