FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2016
116 www.fondsprofessionell.de | 3/2016 von Kempen. Müller-Gödecke verteidigt da- gegen die EZB. „Von einem Austrocknen kann nicht die Rede sein. Dafür kauft die EZB nicht genügend Papiere.“ Anderen Beobachtern bereitet die Finanz- politik der EZB durchaus Sorgen. „Es ist so viel Geld auf dem Markt, da werden einige Unternehmen künstlich am Leben gehalten, die bei normalen Finanzierungskonditionen nicht mehr lebensfähig wären“, warnt etwa Lösche von Schroders. Und de Vries geht noch einen Schritt weiter. Im derzeitigen Niedrigzinsumfeld böten sich sicherheits- orientierten Anlegern kaum Alternativen zu Unternehmensanleihen. „Das wird nicht ewig so bleiben“, warnt er. „Und wenn sich den Anlegern wieder Alternativen bieten, werden sie in Scharen Geld abziehen.“ Über eines sind sich die Anleihenmanager einig. Sie lassen sich von der EZB-Politik nicht in ihrer Anlagestrategie beeinflussen. „Wir Fondsmanager sind nicht der verlängerte Arm der EZB“, sagt Ruegg. „Wenn Anleger Unbehagen bei einem Sektor verspüren, stei- gen die Risikoprämien durch die Decke – egal ob eine EZB Anleihen aufkauft oder nicht.“ SEBASTIAN ERTINGER, ANDREA MARTENS | FP martkt & strategie I unternehmensanleihen Das Kaufprogramm der EZB | Fünf Fragen an Anleihenexperten Welche Folgen hat das Anleihenkaufprogramm der EZB? Stéphane Ruegg, Pictet Christian Müller-Gödecke, HSBC Ruegg: Der Einfluss des EZB-Programms lässt sich nur sehr schwer herausfiltern. Als die EZB ihre Corporate-Bond-Käufe startete, bestimmte das Votum der Briten für einen EU-Austritt das Geschehen an den Märkten. Weitere Bewegungen kamen hin- zu. Soweit ich das sehe, hat die EZB bislang keinen sehr großen Einfluss auf den Handel oder die Emissionstätigkeit. Vielleicht wird sich das aber noch ändern – wo- bei die Käufe in den Sommermonaten vermutlich auch nicht sehr hoch ausgefallen sind. Aber sie halfen durchaus, die Folgen des Brexit-Votums abzudämpfen. Müller-Gödecke: Ich sehe bislang positive Effekte. Bei Betrachtung der Risiko- prämien für Unternehmensanleihen wird das besonders deutlich. Am Abend, bevor die Europäische Zentralbank die Ausweitung des Kaufprogramms ankündigte, lagen die Spreads für Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating bei 145 Basis- punkten über Staatsanleihen. Aktuell liegen sie nur noch 99 Basispunkte darüber. Die alleinige Ankündigung des Kaufprogramms am 10. März sorgte dann bereits für sinkende Risikoprämien. Veranlasst das knappere Angebot Unternehmen dazu, Bonds zu emittieren? Ruegg: Die Unternehmen nutzen natürlich diese günstigen Finanzierungskonditio- nen. Der Hintergrund ist das niedrige Zinsniveau in Europa. Viele Staatsanleihen no- tieren mit negativen Renditen. Bei Unternehmensanleihen der soliden Anlageklasse weist rund die Hälfte eine negative Rendite auf. Das Anleihenvolumen mit Minusren- diten umfasste per Ende Juni immerhin 4,75 Billionen Euro. Müller-Gödecke: Der europäische Corporate-Bond-Markt ist in den vergangenen zehn Jahren um jährlich etwa acht Prozent gewachsen. Sofern sich diese Entwick- lung fortsetzt, werden wir weiterhin viele Neuemissionen sehen. Diese werden durch das extrem niedrige Zinsniveau in der Eurozone natürlich begünstigt. Und es gibt den Investoren Sicherheit, wenn die EZB als Käuferin von Unternehmensanleihen auftritt. Trocknet der Handel mit den Anleihen aus? Ruegg: Bei Unternehmensanleihen der soliden Anlageklasse, Investment Grade, war kaum ein Anstieg der Risikoprämien zu bemerken. Im Hochzinsbereich hingegen fiel der schon deutlicher aus. Aber die Aktion der Europäischen Zentralbank verursachte kein Beben, es fand kein Umbruch an den Märkten statt. Es ist natürlich auch so, dass die EZB schon länger in den Markt eingreift. So erwirbt sie beispielsweise schon seit mehr als einem Jahr Anleihen öffentlicher Emittenten oder auch staats- naher Anstalten. Müller-Gödecke: Nein, von Austrocknen kann nicht die Rede sein. Dafür kauft die EZB nicht genügend Papiere. Im ersten Monat hat die Zentralbank Corporate Bonds mit einem Volumen von acht Milliarden Euro erworben. Wenn man davon ausgeht, dass sich die Käufe in dieser Größenordnung fortsetzen, dann wäre innerhalb eines Jahres eine Summe von 96 Milliarden Euro erreicht. Das entspricht lediglich fünf Prozent des Marktvolumens aller ausgegebenen Unternehmensanleihen in Europa. Die Notenbank greift also bei Weitem nicht markträumend ein. Locken die Käufe ausländische Emittenten, etwa aus den USA, Anleihen am europäischen Markt zu begeben? Ruegg: Ja, aber diesen Trend gab es schon vergangenes Jahr. Zahlreiche amerikani- sche, aber auch asiatische Unternehmen haben sich hier refinanziert. So hat etwa der Getränkekonzern Coca-Cola 2014 erstmals in seiner Geschichte über eine Euro-Anlei- he Geld eingesammelt, 2015 ein zweites Mal. Auch Pepsi Co, 3M, John Deere oder Schlumberger haben in diesem Jahr bereits über Euro-Bonds Geld eingesammelt. Müller-Gödecke: Emittenten aus dem Ausland, vor allem aus Asien und den USA, waren auch in den vergangenen Jahren am europäischen Bond-Markt sehr aktiv. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass Emittenten aus Nordamerika durch das EZB- Programm dazu angeregt werden, weiterhin in Europa Corporate Bonds zu begeben. Auch das belebt den Markt. Wie wirken sich die EZB-Käufe auf Ihre Strategie aus? Ruegg: Man sollte die Fundamentaldaten nicht aus den Augen verlieren. Wir Fonds- manager sind nicht der verlängerte Arm der EZB. Unsere Strategie ist es, Firmen mit überdurchschnittlicher Bonität im Portfolio zu halten. Wir wollen nicht einer etwas höheren Rendite hinterherjagen, sondern die solidesten Emittenten ihrer Gruppe im Portfolio vereinen. Wenn Anleger Unbehagen bei einem Sektor verspüren, steigen die Risikoprämien durch die Decke – egal ob die EZB Anleihen aufkauft oder nicht. Müller-Gödecke: Das Kaufprogramm der Zentralbank wirkt sich eigentlich nicht auf unsere Strategie aus. Allerdings schaffen die Käufe der EZB zusätzliches Vertrauen an den Märkten, sodass wir seit der Ankündigung in einigen Mandaten auch wieder höhere Risiken eingegangen sind und europäische Unternehmensanleihen gekauft haben. Wir sind derzeit weit entfernt von einer Rezession, daher erscheint es uns richtig, verstärkt in Corporate Bonds zu investieren. Foto: © Pictet, HSBC
RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=