FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2017

146 www.fondsprofessionell.de | 4/2017 markt & strategie I ezb-prognose Foto: © Fotolia | allvision W ir schreiben den 7. September des Jahres 2017. EZB-Präsident Mario Draghi hält eine Pressekonferenz ab. Dabei handelt sich um ein regelmäßig wieder- kehrendes Ereignis, währenddessen die An- sichten der Notenbank zu Geldpolitik und ökonomischem Umfeld kommuniziert wer- den. Die PK, wie es im Jargon heißt, ist in diesem Jahr bereits die sechste. Also alles Routine, sollte man meinen. Sollte man meinen. Tatsächlich ist die Veranstaltung alles ande- re als das. Hunderte, tausende Analysten, Investoren und Fondsmanager hängen an den Lippen des Italieners. Was er sagen wird, wird Auswirkun- gen auf jeden nur erdenkli- chen Markt haben – selbst wenn er nur ankündigt, dass nichts geschehen wird. So wie es auch an jenem Tag der Fall ist. Nach der höflichen Begrüßung der Anwesenden sagte Draghi: „Auf der Grundlage unserer regelmä- ßigen wirtschaftlichen und monetären Analyse haben wir beschlossen, die Leitzinsen der EZB unverändert zu lassen. Wir gehen davon aus, dass sie für längere Zeit und weit über den Zeithorizont unseres Nettoerwerbs von Vermögenswerten hinaus auf ihrem aktuellen Niveau bleiben werden.“ Eigentlich eine Null-Meldung, doch kaum sind diese Sätze geäußert, beginnen sich die Märkte zu bewegen, erste Wortfetzen werden von den Nachrichtenagenturen durch den Äther gejagt, eine Informationsmultiplikation findet statt. Mit all den Erfahrungswerten, über die die Teilnehmer verfügen, sollte man meinen, die Märkte würden nun, da alle Fak- ten auf dem Tisch liegen, in logische und be- rechenbare Bahnen einschwenken. Das Ge- genteil ist der Fall, wie etwa Florian Weber, Fixed-Income-Stratege bei der Bank J. Safra Sarasin, fünf Tage später mehr oder weniger enerviert berichten wird: „Die Zins- und De- visenmärkte scheinen an zwei verschiedenen Pressekonferenzen teilgenommen zu haben“, wundert sich der Marktexperte. „Die Wäh- rungsinvestoren nahmen das Treffen als re- striktiv wahr. Im Gegensatz dazu scheint der Zinsmarkt die Pressekonferenz aber als neu- tral bis expansiv interpretiert zu haben.“ Zwei miteinander verbundene Märkte haben die Aussagen Draghis diametral entgegengesetzt interpretiert. Eine Gruppe von Investoren liegt also falsch und wird wohl entsprechende Ver- luste hinnehmen müssen. Die Code-Brecher Doch wie kann das passieren? Das Set an Phrasen wiederholt sich doch? Die EZB will doch verstanden werden? Wieso also all die Missverständnisse? Matthieu Picault von der IESEG School of Management in Lille und Thomas Renault von der Pariser Sorbonne ha- ben sich in ihrer Studie „Words are not all created equal: a new measure of ECB com- munication“ genau dieser Frage angenom- men. Zugegeben: Der Versuch, den EZB- Code zu entschlüsseln und Prognosen für Märkte und Konjunktur abzuleiten, ist nicht neu. In einschlägigen Untersuchungen werden die von der Bank verwende- ten Begriffe in die Kategorien „positiv“, „negativ“ und „un- entschlossen“ eingeteilt. Als Basis dienen die Zuordnun- gen aus Standardwerken wie dem Finanzlexikon „Lough- ran & MacDonald“ oder dem psychosozialen Lexikon „Harvard IV-4“ . An dieser Stelle setzt aber auch schon die Kritik der beiden franzö- sischen Autoren ein. Die Be- griffszuordnungen seien viel Zwei französische Forscher arbeiten an einer umfangreichen Wortdatenbank, um EZB-Aussagen und Marktbewegungen vorhersagen zu können. Entschlüsselt: Der EZB-Code Wie komplex kann es sein, die Aussagen eines EZB-Statements zu interpretieren? Offensichtlich ziemlich, sonst würde es nicht immer wieder zu diametral auseinander laufenden Reaktionen auf ein- und dieselbe Aussage kommen. Der entschlüsselte EZB-Code Aussagen zur Volatilität der Kurse der Aussagen konjunkturellen Aktien am Aktien am zu Geldpolitik Erwartung EZB-Aktion Folgetag Folgetag Expansive EZB-Aktion Expansiv Negativ bei nächster Sitzung Neutral Neutral Restriktive EZB-Aktion Restriktiv Positiv bei nächster Sitzung Neutral Neutral Restriktiv Negativ Neutral Höhere Volatilität Sinken Expansiv Positiv Neutral Geringere Volatilität Steigen Die Matrix zeigt mögliche EZB-Tonalitäten und ihre Bedeutung für zukünftige Entwicklungen an den Aktienmärkten auf. Quelle: FONDS professionell, Studie „Words are not all created equal (…)“

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