FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2018

328 www.fondsprofessionell.de | 1/2018 genau umgekehrt kalkuliert, da hier das Risi- ko eines frühen Ablebens abgedeckt werden muss. Versicherungsmathematisch bedeutet das, dass für die Quotienten in den entspre- chenden Tafeln ein Aufschlag erhoben wird. Für den Versicherer besteht das Risiko schließlich im frühen Ableben, nicht in der Langlebigkeit. Kritik an der Berechnung Die hohen Abschläge der Sterbetafel DAV 2004R führen dazu, dass die Versicherer auf Basis der so kalkulierten Prämien nicht nur die Deckungsrückstellungen erwirtschaften, welche die vom Versicherer zu erwirtschaf- tende Differenz zwischen den Prämien und der von ihm zugesagte Leistungen ist, sondern auch Sicherheitspuffer in Form von Über- schüssen. Dafür ernten sie von Verbraucher- schützern Kritik. „Nach unseren Berechnun- gen überzeichnen die Versicherer die Lebens- erwartung um mindestens sechs Jahre“, sagt Axel Kleinlein, Präsident des Bundes der Ver- sicherten. Dies führt laut dem Mathematiker dazu, dass die notwendige Prämie für eine adäquate Absicherung in die Höhe getrieben wird, um das Geschäftsergebnis der Versiche- rer „aufzupeppen“. Aktuare bestreiten gar nicht, dass sie kon- servativ und mit zu hohen Lebensdauern rechnen. Dafür nennen sie zwei Gründe: zum einen das Gesetz, genauer Paragraf 138 Ver- sicherungsaufsichtsgesetz. Dieses schreibt vor, dass die Versicherer die Prämien so hoch kal- kulieren, dass sie ausreichende Deckungsrück- stellungen bilden. Zum anderen verweisen sie auf Kalkulationsunsicherheiten. Schließlich führt es zu massiven Problemen, wenn ein Versicherer zu blauäugig kalkuliert – und die Lebenserwartung unterschätzt. In diesem Fall reicht das angesparte Kapital nicht, und die Gesellschaf- ten müssten im schlimmsten Fall eigenes Geld nachschießen oder Beiträge für neue Kunden erhöhen. Ein solch unvorsichtiges Vorge- hen gab es in der Vergangenheit mehrfach: 1986 mussten neue Tari- fe in der Rentenversicherung ein- geführt werden, da die Branche zu großzügig kalkuliert hatte. 1994 mussten die Sterbetafeln ebenfalls neu gerechnet werden, und die Ge- sellschaften sahen sich genötigt, die Deckungsrückstellungen zu erhö- hen. Zuletzt war das 2004 der Fall, was zu der sehr konservativ kalkulierten Ster- betafel DAV 2004R führte. Allerdings bedeu- ten die vorsichtigen Berechnungen nicht, dass die Versicherten über 90 Jahre alt werden müssen, damit sich ihre Versicherung „lohnt“, wie das mitunter behauptet wird. Das Gesetz schreibt vor, dass die Gesellschaften die Über- schüsse zu 90 Prozent an ihre Kunden weiter- geben müssen. Deren Rente fällt dann höher aus als einst kalkuliert – solange die Zinsen keinen Strich durch die Rechnung machen. Keine neuen Tafeln Wegen der vorsichtigen Herangehensweise der deutschen Aktuare ist angesichts einer maximalen Lebensverkürzung von sechs Monaten nicht damit zu rechnen, dass sie die Tafeln überarbeiten. Sie können dafür auch auf aktuelle Problemfälle verweisen: „Einige Vorsorgewerke haben im Moment massive Schwierigkeiten, da sie die Lebenserwartung zu niedrig angesetzt hatten“, berichtet der selbstständige Versicherungsmathematiker Peter Schramm. Der Hauptgrund für das Fest- halten an den aktuellen Tafeln ist aber, dass ein Trendwechsel zu kürzerer Lebenserwar- tung in Deutschland trotz einiger entsprechen- der Hinweise nicht zweifelsfrei erwiesen ist. „Die Sterbetafeln in Deutschland werden regelmäßig überprüft, und bislang gibt es kei- ne Anzeichen, dass sie geändert werden soll- ten“, sagt Heistermann. Zinsen wichtiger Eine Neuberechnung der Sterbewahrschein- lichkeiten hätte zudem im Vergleich zum Ein- fluss des Rechnungszinses nur geringe Aus- wirkungen. „Die Veränderung der Sterblich- keit spielt nur bei Personen, die im höheren Alter einen Vertrag abschließen, eine signifi- kante Rolle bei der Neuberechnung der Prä- mien“, sagt Heistermann. Bei den Jüngeren sind die Verschiebungen des Rechnungszinses viel wichtiger. „Dies liegt daran, dass die durch vorzeitig sterbende junge Versiche- rungsnehmer an das Versichertenkollektiv weitergegebenen Rückstellungen nur im Pro- millebereich liegen, die Zinsen aber im Pro- zentbereich zumWachsen der Rückstellungen führen“, so der Aktuar. Erst ab einem Alter von 60 Jahren werde die Sterblichkeit zu einer auch im Vergleich mit den Zinsen wichtigen Kalkulationsgrundlage (siehe Beispielrechnung links). Zinsen haben insbesondere bei Rentenpolicen mit aufgeschobe- nem Rentenbeginn, der zu einer längeren Laufzeit führt, ein größe- res Gewicht – und hier vor allem bei Produkten mit regelmäßigen Beiträgen. „Der Zinseszinseffekt beeinflusst die Berechnung hier im Allgemeinen wesentlich stärker“, so Schramm. Er verweist darauf, dass auch Aspekte wie die Laufzeit und bestimmte Klauseln, etwa eine Beitragsdynamik, die Wirkung des Zinses auf die Prämien beeinflus- sen. Die Versicherer haben die Le- benserwartung also durchaus im Blick – die Zinsen sind ihnen aber wichtiger. JENS BREDENBALS | FP fonds & versicherung I sterbetafeln Foto: © Aktuar Bernd Heistermann, Aktuar: „In der Regel schließen diejenigen, die sich fit fühlen, eine Rentenpolice ab.“ So wirken sich Lebenserwartung und Zinsen aus Zinsen haben auf die Kalkulation von Prämien und damit verbunden der Deckungs- rückstellungen einen größeren Einfluss als die Lebenserwartung. Das zeigt folgendes Rechenbeispiel für eine nachschüssige Leibrente mit drei Jahren Laufzeit und einem Rechnungszins von drei Prozent (ohne Kosten). Beispielkunde ist ein 70-jähriger Mann , geboren im Jahr 1948. Seine Sterbewahr- scheinlichkeiten, mathematisch mit q(x) symbolisiert, sind nach Tafel DAV 2004R („Männer Aggregat“): q(70) = 0,007122, q(71) = 0,007722, q(72) = 0,008460, …, q(100) = 0,131302. Der auf heute abgezinste Wert der Rentenzahlung in einem Jahr ist: 10.000 * (1 – q(70)) * 1/1,03 = 9.639,59 Euro Der heutige Wert der Rentenzahlung in zwei Jahren ist: 10.000 * (1 – q(70)) * (1 -q(71)) * (1/1,03) 2 = 9.286,56 Euro Der heutige Wert der Rentenzahlung in drei Jahren ist: 10.000 * (1 – q(70)) * (1 – q(71)) * (1 – q(72)) * (1/1,03) 3 = 8.939,80 Euro Als Einmalbetrag zu zahlen ist die Summe dieser Werte, also 27.866,05 Euro. Sinkt die Sterbewahrscheinlichkeit um 20 Prozent, sind 27.949,64 Euro zu zahlen. Sinkt dagegen der Rechnungszins um ein Fünftel (2,4 statt 3 Prozent), steigt die Prämie auf 28.189,64 Euro . Damit wirkt sich der niedrigere Zins stärker auf die Prämien aus als die steigende Lebenserwartung.

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