FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2018

lich-rechtliche Institutionen wie Verbraucher- zentralen Klagebefugnis erhalten, sei die Ge- fahr einer Klageindustrie nach US-amerikani- schem Vorbild nicht gebannt. „In diesem Fall wird es so kommen, dass sich große Rechtsanwaltskanzleien über die Verbindung von Musterfeststellungsklagen und anschließenden Leistungsklagen ein neu- es Geschäftsfeld erschließen“, ist Wernicke überzeugt. Sie könnten sich kleinere Unter- nehmen, zum Beispiel mittelständische Ban- ken, suchen, die finanziell gar nicht in der La- ge sind, einen langen Gerichtsprozess durch- zuhalten. Und dann sei es ein Leichtes, sie in einen Vergleich zu zwingen. Ob auch Versi- cherungsmakler und Finanzanlagenvermittler ins Visier solcher Kanzleien geraten werden, kann Wernicke nicht eindeutig beantworten. „Wir haben genau dazu allerdings schon zahl- reiche Anfragen“, berichtet er. Vermutlich wä- ren in erster Linie die Produktanbieter mit Musterfeststellungsklagen konfrontiert. „Aber dass es auch Vermittler trifft, lässt sich keines- wegs ausschließen“, sagt Wernicke. Schärfere Regelung Dass die Situation brisanter wird, sofern der SPD-Vorschlag in der aktuellen Fassung Ge- setz wird, zeigt auch eine feine, aber wichtige Formulierung im Entwurfstext. Zu lesen ist in mehreren Passagen, mit der Musterfeststel- lungsklage sollten „tatsächliche und rechtliche Fragen“ geklärt werden. Im Entwurf von Heiko Maas war lediglich eine Klärung von Rechtsfragen vorgesehen. Das ist ein bedeu- tender Unterschied. „Wird eine Rechtsfrage entschieden, so steht hinterher fest, dass zum Beispiel eine Klausel in den Allgemeinen Ge- schäftsbedingungen eines Versicherers nicht rechtskonform ist“, erläutert Anwalt Kroll. Ein solches Urteil sagt aber nichts darüber aus, ob ein Verbraucher, der sich dem Verfahren an- geschlossen hat, durch den rechtswidrigen Passus auch geschädigt worden ist. „Genau das ist eine Tatfrage“, erklärt Kroll. Sollten in Musterfeststellungsprozessen – ebenso wie in Verfahren nach dem KapMuG – künftig auch Tatfragen entschieden werden, so müssten Verbraucher zwar immer noch individuell auf Schadenersatz klagen. Sie müssten aber nicht vor Gericht ziehen, um geltend zu machen, dass ihnen tatsächlich ein Schaden entstanden ist. Das erhöht den Druck auf die Unternehmen. Wäre der Entwurf von Maas abgesegnet worden, hätten etwa Banken und Versicherer davon ausgehen dürfen, dass die Entschei- dung einer Rechtsfrage in einem Musterver- fahren längst nicht jeden angeschlossenen Verbraucher dazu veranlasst, in einem eigenen Prozess die Tatfrage klären zu lassen. Auch wäre es vermutlich nicht allen Klägern gelun- gen, ihre Ansprüche am Ende durchzusetzen. Damit hätten Unternehmen es auf vereinzelte Prozesse ankommen lassen können, statt sich besorgt auf Vergleiche mit einer großen Grup- pe von definitiv Geschädigten einzulassen. Sollten die Pläne von Ministerin Barley rea- lisiert werden, sieht das anders aus. Immerhin: Hinter dem „New Deal“ der EU-Kommission bleibt der deutsche Gesetz- entwurf weit zurück. Der europäische Vor- schlag sieht neben anderen Verbraucher- schutzmaßnahmen auch Sammelklagen vor. Klagebefugnis sollen nur bestimmte Institu- tionen erhalten, die strengen Kriterien genü- gen müssen. Wer klageberechtigt ist, soll aber direkt auf Schadenersatz für ein Kollektiv von Geschädigten klagen dürfen. Eine so scharfe Regelung hat Katarina Barley in ihren Ent- wurf nicht aufgenommen. ANDREA MARTENS | FP Stephan Wernicke, DIHK: „Es ist nicht auszuschließen, dass Musterklagen auch Vermittler treffen.“ Die aktuelle deutsche Rechtslage und die Pläne der EU Union und SPD haben im Koalitionsvertrag für die 19. Le- gislaturperiode vereinbart, ein Gesetz über die Einführung sogenannter zivilprozessualer Musterfeststellungsklagen zu verabschieden. Der Entwurf liegt bereits vor, das Gesetz soll am 1. November 2018 in Kraft treten. Versicherungs- makler und Finanzanlagenvermittler befürchten, sie könn- ten künftig in einem einzigen Prozess vielfach verklagt werden. Es gibt allerdings auch jetzt schon verschiedene Möglichkeiten, mehrere Einzelklagen in einem Prozess gebündelt zu führen. FONDS professionell gibt eine kurze Übersicht über die momentane Rechtslage – und über die Pläne der Euro- päischen Kommission. Zivilprozessordnung: Die Zivilprozessordnung (ZPO) legt fest, dass jeder für sich allein klagen muss. Urteile, die in Zivilprozessen ergehen, gelten bindend immer nur für die Parteien, die an dem Verfahren beteiligt waren, nicht aber für weitere Personen. Prozessverbindung und subjektive Klagehäufig- keit: Paragraf 147 ZPO sieht eine Ausnahme in der Zivil- prozessordnung vor. Er definiert, dass mehrere Klagen identischen Inhalts zu einem Verfahren verbunden werden dürfen. Die Entscheidung darüber trifft das zuständige Gericht. Eine weitere Ausnahme ist in Paragraf 59ff ZPO definiert. Liegt eine sogenannte subjektive Klagehäufigkeit vor, kann ein Rechtsanwalt meh- rere Klagen mit identischem Streitgegenstand zusammenführen. Er reicht bei Gericht dann nur eine einzige Klage ein. Verbandsklagen: Verbände und Verbrau- cherzentralen haben die Möglichkeit, Muster- klagen gegen Unternehmen zu führen. Ergeht ein entsprechendes Urteil, so hat sich die unterle- gene Partei daran zu halten. Für andere Unter- nehmen oder Personen hat die Entscheidung jedoch keine Bindungswirkung. Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (Kap- MuG): Das KapMuG ermöglicht Musterverfahren auf- grund fehlerhafter, irreführender oder unterlassener Kapi- talmarktinformationen. Verfahren nach dem KapMuG kön- nen geführt werden, wenn mindestens zehn Klagen mit identischen Inhalten in ein elektronisches Klageregister eingetragen werden. Urteile, die in einem Musterverfahren nach KapMuG erstritten werden, gelten bindend für alle im Register eingetragenen Kläger. Sie besagen aber nur, dass ein Rechtsbruch vorlag und die Kläger geschädigt wurden. Schadenersatz muss jeder Einzelne individuell erstreiten. „New Deal“ der EU-Kommission: Mitte April hat die EU-Kommission ihren „New Deal für Verbraucher“ vorgelegt. Ein Teil des Maß- nahmenpakets beschäftigt sich mit Sammelkla- gen. Die Kommission schlägt vor, „qualifizierten Institutionen“ wie Verbraucherverbänden die Mög- lichkeit einzuräumen, für Geschädigte kollektiv zu klagen. Die Organisationen müssen von den Be- hörden ihres Mitgliedsstaates als klageberechtigt anerkannt sein, dürfen nicht gewinnorientiert arbeiten und müssen Rechenschaft darüber ablegen, wie sie eine Sam- melklage finanzieren. Derartige Klagen sollen nur möglich sein, wenn ein nationales Gericht oder eine Behörde bereits einen Rechtsbruch durch ein Unternehmen fest- gestellt hat. Dann aber sollen die Institutionen kollektiv direkt auf Schadenersatz klagen dürfen. 323 www.fondsprofessionell.de | 2/2018

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