FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2018

143 www.fondsprofessionell.de | 3/2018 In der Nacht auf den 15. September 2008 musste Lehman Brothers Insolvenz anmelden. Es folgte der schlimmste Wirtschaftskollaps seit Jahrzehnten. Sechs Fondsmanager blicken zurück – und voraus auf die nächste mögliche Krise. Die vollständi- gen Inter- views finden Sie unter fponline.de/ Lehman318 Klaus Kaldemorgen Klaus Kaldemor- gen, Jahrgang 1953, gehört zu den erfahrensten Fondsmanagern Deutschlands. Er verantwortet den DWS Concept Kaldemorgen. Wie haben Sie 2008 das Drama um die gescheiterte Lehman- Rettung erlebt? Ich muss gestehen, dass ich die Nachricht gar nicht so dramatisch wahrgenommen habe. Schließlich hatte sich das Lehman-Problem bereits eine Weile abgezeichnet, und die Aktien- kurse hatten bereits im Vorfeld stark nachgege- ben. Die Gedanken drehten sich in erster Linie um die direkten Auswirkungen auf unsere Port- folios. Wie viele Anleihen besitzen wir, gibt es Zertifikate, die von Lehman begeben wurden, und haben wir genügend Sicherheiten für die an Lehman ausgeliehenen Wertpapiere? Am folgen- den Montag fing der Arbeitstag sehr früh an. Hatten Sie erwartet, dass die Krise so tief rei- chen und so um sich grei- fen würde? Unser Haus schätzte damals während eines Fern- sehinterviews den Schaden aus der Lehman-Plei- te auf etwa 50 Milliarden US-Dollar. Anfänglich hatte jeder eigentlich nur die direkten Ausfälle im Auge, die sich aus der Insolvenz ergaben. Die um ein Vielfaches höheren Kollateralschäden kamen durch den immensen Vertrauensverlust in die Funktion der Kapitalmärkte zustande. Wo lagen Sie damals falsch? Welche Lehren haben Sie daraus gezogen? Mit Kursverlusten hatte ich gerechnet, nicht aber mit einem kompletten Marktversagen vor allem bei strukturierten Anleihen. Eine Zeit lang gab es nur Kursindikationen. Auch zu immer tieferen Kursen fand kein Umsatz statt. Das war ein erhebliches Problem für viele Fonds, die Mittel- rückflüsse zu bedienen hatten. Als Lerneffekt ist eine Aversion gegen komplexe Finanzinstrumente und unangemessen hohe Verschuldung geblieben. Was könnte der Auslöser der nächsten Finanzkrise sein? Eine starke Rezession, aus welchem Grund auch immer, dürfte die größte Bedrohung für die Fi- nanzstabilität sein. Gerade in Europa haben viele Staaten kaum Spielraum, ihr Defizit beträchtlich auszuweiten, während die Geldpolitik der EZB weiter im Krisenmodus ist und dadurch keine geldpolitisch positiven Impulse setzen kann. Hendrik Leber Hendrik Leber, Jahrgang 1957, gründete 1994 den Vermögens- verwalter Acatis. Der promovierte Betriebswirt ist einer der Vorden- ker der Branche. Eigentlich war ich froh, dass endlich einer der Russisches-Roulette-Spieler am Kapitalmarkt mit dem Untergang belohnt wurde – so wie es sich im Kapitalismus gehört. Der Kapitalismus braucht Konkurse als Sanktionsmittel. Konkurse diszipli- nieren das eigene Management, und die Konkurs- gefahr dient anderen Marktteilnehmern als Richt- schnur, um gute Geschäftspartner auszuwählen. Es war die Sorglosigkeit und Verantwortungs- losigkeit der kompletten Produktionskette von Subprime-Krediten – von der Kreditgenerierung über die Prüfung, das Rating, die Bündelung bis hin zur Filetierung in Tranchen –, die mit dem Konkurs von Lehman ein Ende fand. Nein. Bloomberg hatte damals mit Nettoausfällen von 400 bis 600 Milliarden Dollar gerechnet. Die Banken wurden meines Wissens dann überkapita- lisiert mit 1.500 bis 2.000 Milliarden Dollar. Würde man eine Schlussabrechnung machen, käme man wohl eher auf 500 als auf 2.000 Milliarden Scha- den aus der Subprime-Krise. Auch dass die IKB oder die Depfa an Subprime praktisch zugrunde gehen würden, hatte ich nie erwartet. Wir hatten uns schon etwa ab November 2006 auf die Kreditkrise vorbereitet. Ab Spätherbst 2006 hatten wir eine Sicherung im Portfolio, die wir dann im Oktober 2008 mit schönem Gewinn aufgelöst haben. Ich habe mich – wie schon viele andere Male – gewundert, wie lange eine Krise zur Bewältigung braucht. Eigentlich hätte die Krise schon im Mai 2007 mit der Notübernahme von Bear Stearns enden müssen, denn damals lagen alle Fakten für die Aufsichtsbehörden auf dem Tisch. Mir ist ein vollkommenes Rätsel, warum es in angeblich so transparenten und allwissen- den Kapitalmärkten dann noch anderthalb Jahre dauerte, bis alle vorliegenden Informationen über die Subprime-Krise verarbeitet wurden und mit Lehman einen Abschluss fanden. Es gibt viele Möglichkeiten. Jede Zinsnormalisie- rung wird eine riesige Krise auslösen, Unterneh- men und Staaten würden in die Knie gehen. Oder wie wäre es mit einer Liquiditätsverknappung als Folge der Notenbankpolitik? Trumps Handelskrieg könnte ebenfalls erhebliche Konsequenzen haben, in einem perfekten Sturm sogar zeitgleich mit dem Brexit. Ein Türkei-Default würde in Europas Finanzszene erhebliche Schäden bewirken. Mein sicherster Tipp ist aber eine langsam beginnende und dann nicht mehr zu stoppende hohe Inflation. Luca Pesarini Luca Pesarini, Jahrgang 1961, gab seine Bank- karriere auf, um 2002 einen der ersten vermö- gensverwaltenden Fonds zu starten: den Ethna-Aktiv. In der Tat, dieses Wochenende im September 2008 war dramatisch. Was die Lehman-Pleite alles auslösen würde, konnte ich damals noch nicht ahnen – wie vermutlich niemand. Allerdings hat mich das Ende von Lehman Brothers zugleich wenig verwundert, man hatte sich einfach ver- zockt und bis zum Schluss darauf gehofft, dass Zentralbanken und Finanzminister das Problem lösen würden. Eine wichtige Lektion für alle. Nein. Wie gesagt, damals war nur die Spitze des Eisbergs erkennbar. Was unter der Oberfläche schlummerte, der ganze Sumpf, der kam erst nach und nach zum Vorschein. Ich habe das letztlich ungeheure Ausmaß der Krise schlicht unterschätzt. Anfangs bin ich davon ausgegangen, wir hätten es hier mit einer über- schaubaren, eher kleinen Krise zu tun. Den we- nigsten war damals wohl bewusst, was noch auf uns zukommen würde. Heute, und das hat dieses Ereignis eindrucksvoll bewiesen, weiß ich, dass vieles einfach länger dauert als gedacht – weil man oft die Magnitude des Ganzen nicht richtig einschätzen kann. Unsere Entscheidung damals, das Risiko drastisch zu reduzieren, eben weil wir das Ausmaß der Krise nicht in vollem Umfang abschätzen konnten, war goldrichtig. Diese Erfah- rung hat das Fondsmanagement von Ethenea nachhaltig geprägt. Auch heute noch befolgen wir dieses Credo bei Investmententscheidungen. Am Anfang und Ende steht die Gier. Das ist eigentlich immer der Auslöser von Krisen. Es wird an den eigenen Vorteil gedacht, ohne Rück- sicht auf andere oder Verluste. Am Ende könnte es durchaus wieder um zu hohe Verschuldung gehen. Schattenbanken, Entwicklungsländer, riskante Unternehmenskredite, Rohstoffspekula- tion … an möglichen Auslösern mangelt es nicht. Was auch immer es am Ende sein mag, eins habe ich gelernt: die systemischen Risiken einer Krise bloß nicht unterschätzen! Alle Antworten im vollen Wortlaut: QR-Code scannen oder www.fponline.de/Lehman318 eingeben 

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