FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2020

Foto: © Benjamin Brolet S eit März 2019 ist Gabriel Felber- mayr Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Gleichzeitig hat er eine Professur für Volkswirtschafts- lehre, insbesondere Wirtschaftspolitik, an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel inne. Der in Oberösterreich geborene Ökonom gilt als einer der führenden Ex- perten in allen Facetten des Themas Han- delspolitik und ist ein angesehener wis- senschaftlicher Berater der Politik, nicht nur in Deutschland und Österreich, auch in den EU-Institutionen ist sein Rat ge- sucht. Felbermayr ist davon überzeugt, dass die Wirtschaft in Deutschland im ersten Halbjahr „mit Sicherheit“, womög- lich auch im Gesamtjahr in die Rezession rutschen wird. Wir haben ihn in Brüssel zum Gespräch getroffen. Herr Prof. Felbermayr, in Vorträgen und Interviews haben Sie schon mehrfach den Begriff der Deglobalisierung ins Spiel gebracht. Was genau steckt dahin- ter, und worauf müssen sich Gesellschaft und Marktteilnehmer einstellen? Gabriel Felbermayr: Nicht nur die Wissen- schaft, auch die Politik und die Unternehmen haben eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass sich das weltwirtschaftliche System bereits im Jahr 2010 merklich geändert hat. Man kann in diesem Zusammenhang von einem Systemknick oder einem Regime Shift sprechen, von dem man anfangs nicht genau sagen konnte, ob dahinter nun ein nachhalti- ger Trend steht oder ob es eine eher zufällige Entwicklung ist. Solche Veränderungen in der Wirtschaft lassen sich eben oft erst mit einer gewissen Verzögerung feststellen. Inzwischen haben wir die Gewissheit – das zeigt sich in den uns vorliegenden Daten sehr deutlich. Mit welcher Konsequenz? Bereits seit 2010 in etwa wächst der Welthan- del nicht mehr schneller als die Produktion, was über Jahrzehnte der Fall war. Wer auf Export oder Outsourcing gesetzt hat, konnte an den sich daraus ergebenden Trends gutes Geld verdienen. Denn die Industrialisierung nicht nur in Deutschland, auch in Österreich, wurde von diesem Motor über viele Jahre angetrieben. Aber dieser Motor ist nun klar erkennbar ins Stottern geraten, man könnte fast sagen, er läuft nicht mehr. Ich würde den- noch dazu mahnen, mit der Vokabel Deglo- balisierung, die ich, zugegeben, selbst gern verwende, vorsichtig umzugehen. Der Begriff wird allzu schnell im Sinne von fallenden Handelsvolumen verwendet. Wir haben zwar im Prinzip solche Rückschritte im Sinne von fallenden Handelsvolumen im Verlauf von 2019 beobachtet, übrigens zum ersten Mal seit der Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Man kann aber noch nicht generalisierend davon sprechen, dass der Handel zurückgeht, er wächst eben nur nicht mehr schneller als der wirtschaftliche Output. Und das ist das wirklich Neue. Aber war der Weg dorthin nicht eigent- lich regelrecht vorgezeichnet? Nicht unbedingt. Nach der krisenhaften Ent- wicklung und rezessiven Tendenzen zwischen 2008 und 2010 und der darauf folgenden Euroschuldenkrise waren viele Beobachter davon ausgegangen, dass sich das Niveau der Unsicherheit in den Märkten und auch das Niveau der Unsicherheit auf politi- scher und gesellschaftlicher Ebene zu- rückbilden würde, sobald die genannten Erscheinungen überwunden wären. Genau das ist eben nicht passiert. Wir sehen uns nach wie vor einer hohen Unsicherheit gegenüber, und zwar nicht erst seit der Corona-Krise. Wir befinden uns schon länger in einem nachhaltig unsicheren Regime mit höheren Schwankungen in der Wirtschaftsleistung, aber auch einer höheren regulatorischen Unsicherheit. Und für beides gibt es viele Gründe. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht auf der Ebene von Unternehmen? Viele Unternehmen müssen sich in die- sem neuen Globalisierungsregime natürlich vor allem Fragen hinsichtlich ihrer strate- gischen Ausrichtung und ihrer Aufstellung in einem solchen Umfeld stellen. Wir beobach- ten in Deutschland schon seit rund zweiein- halb Jahren, in Österreich noch nicht ganz so lang, dass dieses neue Regime bis in den Kern der Industrie hineinwirkt. Deshalb sehen wir uns in Deutschland im Prinzip schon seit zweieinhalb Jahren einer Industrierezession gegenüber, in Österreich seit einem Jahr. Das gilt im Grunde ähnlich auch für viele andere OECD-Staaten. Und auf globaler Ebene müssen wir im Hinblick auf die industrielle Entwicklung von einer Seitwärtsbewegung ausgehen – auch etwas, das wir im Grunde über Jahrzehnte nicht gehabt haben, allenfalls unterbrochen von kurzen Krisen. Ansonsten aber galt die weltweite Industrieentwicklung in absoluten Zahlen doch als ausgeprägte Wachstumsgeschichte. Inzwischen befinden wir uns aufgrund der Auswirkungen der Corona-Krise in einer vollkommen neuen Situation. Wo- rauf müssen wir uns einstellen? Ende Februar habe ich in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ von einem drohenden Der österreichische Ökonom Gabriel Felbermayr gilt als besonders zielstrebig und ehrgeizig. Kein Wunder, dass das Kieler Institut für Weltwirtschaft , das er als dessen Präsident leitet, seit seinem Amtsantritt deutlich an Renommee gewonnen hat. Wir haben mit ihm über die Auswirkungen der aktuellen Krise gesprochen. „An einer Rezession führt wohl » Wir befinden uns schon länger in einem unsicheren Regime mit höheren Schwankungen in der Wirtschaftsleis- tung, aber auch einer höheren regulatorischen Unsicherheit. « Gabriel Felbermayr, Institut für Weltwirtschaft markt & strategie I gabriel felbermayr | institut für weltwir tschaft 174 www.fondsprofessionell.de | 1/2020

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