FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2020

ED I TOR I A L www.fondsprofessionell.de | 2/2020 9 Warum uns diese Krise Demut lehren sollte Von Max Frisch, dem Schwei- zer Schriftsteller, ist ein Zitat überliefert, das gut auf die heutige Zeit passt: „Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beige- schmack der Katastrophe nehmen.“ In vielerlei Hinsicht wirkt das Coronavirus tat- sächlich katastrophal: Die Welt steuert auf die schlimms- te Rezession seit 100 Jahren zu, Millionen Menschen verlieren ihren Job, Hundert- tausende sogar ihr Leben. Es fällt verständlicherweise schwer, dieser Krise etwas Positives abzugewinnen. Dennoch hat Frisch recht. Die Krise zwingt viele Menschen dazu, sich neu zu orientieren. Wenn sie es schaffen, in dieser Situation nach vorn zu blicken, setzen sie Ideen in die Tat um, die sie sonst nie angegangen wären – und es entsteht etwas Neues. So löst die Krise Veränderungen aus und verhilft manchem Trend zum Durchbruch. Damit ist nicht nur das Naheliegende gemeint, etwa die Tatsache, dass viele Unternehmen die Digitalisierung nun noch engagierter vorantreiben werden. Vielleicht schärft insbesondere diese Krise auch das Bewusstsein dafür, dass die Menschheit bei dem Versuch, sich die Erde untertan zu machen, Demut üben sollte. Zur Erinnerung: Ein Virus, das mit hoher Wahr- scheinlichkeit auf einem Wildtiermarkt vom Tier auf den Menschen übertragen wurde, kontrolliert gerade unser Leben – nicht umgekehrt. Als die Menschen gezwungenermaßen in ihren Häusern bleiben mussten, war über Chinas Metropolen plötzlich wieder der blaue Himmel zu sehen, und Fische began- nen Venedigs Kanäle zu entdecken. Auch wenn von der „Fridays for Future“-Bewegung gerade wenig zu hören ist, setzen sich ihre Ideen gerade in vielen Köpfen fest. In der Krise zeigt sich auch, welche Unternehmen tat- sächlich sozial mit ihren Mitarbeitern, Kunden und Liefe- ranten umgehen – und welche sich nur in guten Zeiten selbstlos geben. Das alles hat auch Auswirkungen auf so profane Dinge wie die Geldanlage: Die Chancen stehen gut, dass Corona den Trend zu nachhaltigen Investments deutlich beschleunigen wird (siehe unser ausführliches Spezial ab Seite 300). Vielleicht hilft die aktuelle Krise sogar bei der Erkenntnis, dass der Schutz des Klimas, der Weltmeere oder der be- drohten Arten letztlich nicht allein der Umwelt dient, son- dern vor allem uns selbst. Auch dazu lässt sich bei Max Frisch ein Zitat finden, das ebenfalls von der Katastrophe handelt: „Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt; die Natur kennt keine Katastrophen.“ Ihr Bernd Mikosch Chefredakteur

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