FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2020

Foto: © Marlene Fröhlich H ans-Werner Sinn, emeritierter Präsident des Münchner Ifo- Instituts für Wirtschaftsfor- schung, scheut sich nicht, unbe- queme Wahrheiten auszusprechen. Auf dem Höhepunkt der Eurokrise vertrat der Ökonom die Meinung, das ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion für beide Seiten die bessere Lösung gewesen wäre.  Nun, in der zweiten Phase der Coro- na-Krise, erinnert er daran, dass das Verschuldungsproblem einiger euro- päischer Peripheriestaaten abermals ins Blickfeld geraten könnte. Im Ge- spräch erklärt Sinn, wie hoch er die Gefahr einer neuerlichen Eurokrise einschätzt, was er von Corona-Bonds hält und wie es seiner Meinung nach mit der Weltwirtschaft weitergehen wird. Herr Prof. Sinn, die von der Coronakrise erfassten europäischen Staaten haben umfassende Schutzschirme für die Wirt- schaft aufgespannt. Werden diese aus der derzeitigen Sicht reichen? Hans-Werner Sinn: Sie müssen reichen. Mehr Geld wird man kaum mobilisieren können, ohne die Wirtschaft zugrunde zu richten. Der Lockdown muss unter Wahrung strikter Hygienevorschriften nun schrittweise beendet werden. Haben die Regierungen Ihrer Meinung nach bisher die richtigen Maßnahmen gesetzt? Ja, grundsätzlich befürworte ich die Maßnah- men der Regierung mit Nachdruck. Nur ha- ben sie es mit dem „Whatever it takes“ über- trieben. Deutschland hat durch Ausgaben des Staates und Kreditbürgschaften über 1.000 Milliarden Euro oder 30 Prozent des BIP be- wegt. Das kommt mir angesichts der von den Instituten prognostizierten Schrumpfung der Wirtschaft gigantisch vor. Plötzlich ist in der Panik das Maß verloren gegangen. Und wie bewerten Sie die Rolle der Eu- ropäischen Union in der Krise? Was hät- ten Sie sich von der EU erwartet? Die EU hat hier eigentlich keine besondere Rolle zu spielen. Die Krise ist ein Musterbei- spiel für ein Problem, das nach dem Subsidia- ritätsprinzip ganz unten gelöst werden muss. Jeder Einzelne hat es in der Hand, seine Ge- sundheit zu schützen. Jede Kommune muss nach den örtlichen Verhältnissen entscheiden. Jedes Land ist in einer Sondersituation, und schließlich sind auch die Staaten unterschied- lich betroffen.Viele nehmen allerdings die Krise als Vorwand, ihre lang gehegten Um- verteilungswünsche nun endlich zu realisieren. Ich muss aber zugestehen: Im Einzelfall sind sie berechtigt. Italien ist von der Welle der unerkannten Sonderinfektionen gleich zu Anfang so stark betroffen, dass wir helfen müssen. Wir können Italien auch dankbar sein, weil es uns gezeigt hat, was auf uns zukommt, wenn wir nicht handeln. Feststeht jedenfalls, dass es in der Euro- zone dieses Jahr zu einem massiven Wirtschaftseinbruch kommen wird. Mit welchen Auswirkungen müssen Länder wie Deutschland und Österreich rechnen? Beide Länder könnten mit einem blauen Auge davonkommen, weil ihr Gesundheitssystem und die Dis- ziplin ihrer Bevölkerung eine bal- dige Rückkehr in das Erwerbsleben erlauben. Allerdings ist Deutsch- land dabei, sich durch die total überzogenen Rettungsmaßnahmen in Höhe von 30 Prozent des BIP selbst zu schädigen. Und wo sehen Sie die Grenzen der aktuellen Rettungsmaßnah- men? Die Grenzen sind bereits über- schritten. Das erhöhte Kurzarbei- tergeld ist unnötig, weil es den effektiven Arbeitslohn für jene, die wieder voll arbeiten sollen, reduziert. Das erschwert die Normalisierung. Die unbürokratische, schnelle Hilfe des Staates ohne Detailprüfung, derer die Politiker sich rühmen, kann man auch als Schleuderaktion betrachten. Jeden- falls lädt sie zum Betrug ein. Nicht jeder, der Nachteile erleidet, muss kompensiert werden. Nur extreme Härten hätte man abfangen müssen. Vor allem muss man Unternehmen und Arbeitsplätze retten. Warum wird die Corona-Pause nicht auf die Ferien angerech- net? Der Staat führt sich auf, als flössen die Mittel wie Manna vom Himmel. Die Ausga- benfreude wird uns noch mal auf die Füße fallen, zumal sie jetzt ja auf europäischer Ebene weitergeht. Was können Notenbanken in dieser Situation noch ausrichten? Die Notenbanken retten wieder einmal die Portfolios der Anleger. Den betroffenen Län- dern wäre aber wahrscheinlich mit einem Schuldenschnitt viel mehr geholfen. Das klingt schon sehr drastisch. In wel- chem Ausmaß wird die Staatsverschul- Prof. Dr. Hans-Werner Sinn , ehemaliger Chef des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, nimmt selten ein Blatt vor den Mund. Im Interview erklärt er, welche Auswirkungen die Coronakrise auf die Weltwirt- schaft haben wird, was er von den Hilfspaketen der Regierungen hält – und wie er zu Corona-Bonds steht. „Mit dem Whatever it takes » Die unbürokratische, schnelle Hilfe des Staates ohne Detailprüfung, der die Politiker sich rühmen, kann man auch als Schleuder- aktion betrachten. Jedenfalls lädt sie zum Betrug ein. « Hans-Werner Sinn, emeritierter Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung markt & strategie I hans-werner sinn | ifo-institut für wir tschaftsforschung 116 www.fondsprofessionell.de | 2/2020

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=