FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2020

anschaut, so scheint es sich auf den ersten Blick um ein nachhaltiges Unternehmen zu handeln“, erklärt der Experte. Bei genauerem Hinsehen zeige sich, dass Nestlé bei seiner Getränkeproduktion in Indien der Landbe- völkerung aber im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser abgrabe. Selbst genau hinschauen Fondssiegel und -ratings seien zwar gut. „Solche Siegel entbinden den Berater aber nicht von der Verantwortung, selbst genau zu prüfen“, konstatiert Scheulen. Auch die häufig anzutreffende Behaup- tung, der Begriff Nachhaltigkeit sei schwammig, daher könne er Anlegern nicht richtig erläutert werden, lässt er nicht gelten. „Schon seit 1992 in Rio de Janeiro die Agenda 21 beschlossen wurde, ist definiert, was unter Nachhaltigkeit zu ver- stehen ist“, sagt Scheulen. „Mit den ESG-Kri- terien und den 17 Zielen der Vereinten Natio- nen für nachhaltige Entwicklung ist der Rah- men definiert.“ Beides könne durchaus als Basis dienen, auf der Entscheidungen für nachhaltige Investments getroffen werden. Und dann ist da auch noch die Taxonomie, die als Kernstück des EU-Aktionsplans für ein nachhaltiges Finanzwesen ein einheitliches Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirt- schaftstätigkeiten etablieren soll (siehe Artikel ab Seite 308). Bernhard Rathgeber, Vermö- gensverwalter und Senior Partner bei der DWPT Deutsche Wertpapiertreuhand aus Herzogenaurach und stellvertretender Vor- stand von Ökofinanz-21, ist in diesem Punkt ein wenig skeptisch. „Ich hoffe, dass die Re- geln, die entwickelt werden, von allen Akteu- ren auch praktisch gut zu handhaben sind und einen wirklichen Mehrwert bringen“, sagt er. Rathgeber ist in Sachen nachhaltige Geld- anlage ein „alter Hase“. Schon vor 20 Jahren hat er bei einer Großbank in München Stif- tungen und kirchliche Einrichtungen betreut. „Diese Mandanten haben damals schon kriti- sche Fragen gestellt und Bereiche wie Atom- kraft oder Rüstung für ihre Investments aus- geschlossen“, weiß Rathgeber noch. Heute bietet der Vermögensverwalter zwar auch noch konventionelle Kapitalanlagen an, doch seine Kunden setzen zunehmend auf Nach- haltigkeit. „Interessant ist, dass, sicher auch getrieben durch die Bewegung ‚Fridays for Future‘, gerade die Kinder von Mandanten ih- re Eltern immer öfter auf nachhaltige Geldan- lage hinweisen“, berichtet Rathgeber. In die Firma eingestiegen Manche Kinder begnügen sich jedoch nicht damit, ihren Eltern in Richtung Nachhaltigkeit Denkanstöße zu geben – sie werden gleich aktiv tätig. So war es zumindest bei Kerstin Berndt. „Meine Mutter ist schon seit 1992 als freie Finanzberaterin und Versicherungsver- mittlerin tätig“, berichtet Berndt. Als 2017 klar war, dass die Tochter in die Firma mit Namen Ab-zur-Vorsorge und Sitz im sächsischen Pirna einsteigen würde, stand auch fest, dass sie sich ausschließlich dem Thema nachhal- tige Geldanlage widmen würde. „Ich hatte mich viel mit der Ausbeutung unseres Planeten, dem Klimawandel und sozialer Ungerechtigkeit beschäftigt und fand, das geht so nicht mehr“, berichtet Berndt. Und weil sie der Überzeugung ist, dass Geld die Welt regiert, wollte sie ihren Beitrag dazu leisten, Finanzströme in die ihrer Ansicht nach richtigen Unternehmen zu leiten. „Seit ich mit der nachhaltigen Geldanlage begonnen habe, ist auch bei den Kunden meiner Mutter, die neben nachhaltigen auch noch konventionelle Fonds anbietet, das Interesse an Nachhaltig- keit deutlich gestiegen“, erzählt Berndt. Klar, es seien auch immer wieder Anleger dabei, denen dieser Aspekt nicht so wichtig oder bis- lang noch völlig unbekannt ist. „Aber wenn man sie darauf anspricht, sind sie am Ende doch begeistert“, sagt Berndt. Ganz einfach findet Kerstin Berndt es nicht, sich trotz aller Siegel und Ratings aus dem großen Angebot an tatsächlich und vermeintlich nachhaltigen Investmentprodukten die herauszupicken, die ihren Ansprüchen ge- nügen. „Solange es die Taxonomie nicht gibt, ist es schwierig“, sagt sie. Zudem würde sie gern verstärkt nachhaltige Ver- sicherungen an den Kunden bringen. „Aber die Versicherer kommen nur schwer in Gang, und es herrscht wenig Transparenz“, sagt Berndt. Auch den Konsum steuern Lars Steinmann ist der Überzeugung, dass es selbst in der Geldanlage eine hundertpro- zentige Nachhaltigkeit nicht gibt. „Wirklich nachhaltig ist für mich der verpackungsfreie Laden um die Ecke“, sagt er. Ein solches Niveau sei nicht einmal bei Small Caps zu finden. „Aber ohne den Kapitalmarkt geht es in der Geldanlage und Altersvorsorge nun einmal nicht, und 80 Prozent sind ja auch schon gut“, sagt Steinmann. Richtig fände er es allerdings, wenn Anleger nicht nur bei ihren Investments auf Nachhaltigkeit achten, sondern auch ihren Konsum entsprechend steuern würden – so wie Steinmann selbst seit vielen Jahren. ANDREA MARTENS | FP Foto: © ABzurVorsorge GmbH & Co. KG; Ökologische Finanzdienstleistungen Ingo Scheulen Ingo Scheulen, Ökologische Finanzdienstleistungen: „Vor 25 Jahren wurde man noch belächelt.“ Kerstin Berndt, Ab-zur-Vorsorge: „Die Versicherer kommen beim Thema Nachhaltigkeit nur schwer in Gang.“ » Interessant ist, dass gerade die Kinder von Mandanten ihre Eltern immer öfter auf nachhaltige Geldanlage hinweisen. « Bernhard Rathgeber, DWPT Deutsche Wertpapiertreuhand 346 www.fondsprofessionell.de | 2/2020 esg-spezial I finanzberater

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