FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2020

Foto: © MMphotos | stock.adobe.com, Sernetz Schäfer Rechtsanwälte, Wüterich Breucker D ie Anwälte mancher Banken und Sparkassen schauten am 26. März gebannt nach Luxem- burg. Der dort ansässige Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte sich mit einer Anfrage zu Klauseln inWiderrufs- belehrungen beschäftigt und verkünde- te an jenem Tag seinen Entscheid (Az. C 66/19), der Sprengkraft birgt: Den Richtern zufolge sind die Widerrufsbe- lehrungen, die viele deutsche Banken in Verträgen zu Immobilienkrediten und Kfz-Finanzierungen verwendet hatten, nicht mit EU-Recht vereinbar. Eine feh- lerhafte Belehrung hat zur Folge, dass die übliche Frist von 14 Tagen erst gar nicht zu laufen begonnen hat – und Kun- den ihr Darlehen noch Jahre nach Ver- tragsabschluss widerrufen können. Verbraucheranwälte witterten schon das große Geschäft: Auf den ersten Blick schien es so, als hätte der EuGH den Bundesbürgern einen Widerrufsjoker für Wohnungsbaukredite im Volumen von mehr als einer Billion Euro zugesteckt. Doch ausspielen können sie ihn wohl nur in den seltensten Fällen. Der Joker, meinen Fachjuristen, ist faktisch wirkungslos, bevor er das erste Mal gezogen wurde. Kaskadenverweis Doch von vorn: Seinen Ausgang nahm der Fall am Landgericht Saarbrücken. Im Jahr 2012 hatte ein Verbraucher bei der Kreissparkasse Saarlouis einen pfand- rechtlich besicherten Immobilienkredit über 100.000 Euro mit einem bis zum 30. November 2021 gebundenen Sollzinssatz von 3,61 Prozent pro Jahr aufgenommen. Anfang 2016 erklärte der Kreditnehmer den Widerruf. Die Kreissparkasse war der Ansicht, dass sie den Kunden ordnungsgemäß belehrt hätte und die Frist längst abgelaufen wäre. Das sah er anders und klagte. Das Landgericht stellte nun den Luxembur- ger Richtern im Rahmen einer sogenannten fakultativen Vorabentscheidung die Frage, ob die Formulierungen in dem Vertrag konform mit den Vorschriften der EU-Richtlinie 2008/48 über Verbraucherkreditverträge vom Mai 2008 sind. Die Richtlinie besagt in Arti- kel 10 Absatz 2 Buchstabe P, dass der Kunde „im Kreditvertrag (…) in klarer, prägnanter Form (über) das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts sowie die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts“ aufzuklären ist. In den Bedingungen des beanstandeten Ver- trags heißt es zur Widerrufsfrist jedoch, dass diese nach Abschluss des Vertrags begin- ne, „aber erst, nachdem der Darlehens- nehmer alle Pflichtangaben nach Para- graf 492 Absatz 2 Bürgerliches Gesetz- buch (BGB) (…) erhalten hat“. In die- ser Passage der grundlegenden deut- schen Gesetzessammlung heißt es nun: „Der Vertrag muss die für den Ver- braucherdarlehensvertrag vorgeschrie- benen Angaben nach Artikel 247 Pa- ragrafen 6 bis 13 des Einführungsge- setzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche enthalten.“ Dieses Verfahren von Hin- weisen auf andere Vorschriften be- zeichnen Juristen als „Kaskadenver- weis“ – und der ist alles andere als verständlich, was der EU-Richtlinie klar zuwiderläuft: „Im Fall einer sol- chen Kaskadenverweisung kann der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags nämlich weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen noch überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle erforderlichen Angaben enthält. Dazu muss man schon Jurist sein“, kommentiert Rechtsanwalt Oliver Renner von der Stuttgarter Kanzlei Wüterich Breucker. Die Richtlinie stehe dem entgegen, „dass ein Kre- ditvertrag hinsichtlich der Pflichtangaben, deren Erteilung an den Verbraucher für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich ist, auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats verweist“, verkündet der EuGH per Pressemitteilung. Gesetzesfiktion Das hört sich aus Verbrauchersicht toll an, da es ihnen ein Einfallstor für einen Widerruf zu öffnen scheint. Es gibt aber einen gewaltigen Knackpunkt: Der deutsche Gesetz- geber selbst hat in einem Mustertext, der im „Gesetz zur Einführung einer Musterwider- rufsinformation für Verbraucherdarlehensver- träge, zur Änderung der Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensver- trägen und zur Änderung des Darlehensver- mittlungsrechts“ vom Juli 2010 enthalten ist, Wirkungsloser Joker » Mit den beiden Beschlüssen des BGH hat sich der › Widerrufsjoker ‹ , den zahlreiche Anlegeranwälte aufgrund der Entscheidung des EuGH ausgerufen haben, sehr schnell wieder erledigt. « Peter Balzer, Sernetz Schäfer Rechtsanwälte e - B D Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs standen plötzlich Immobilien- kredite über eine Billion Euro im Feuer. Doch der BGH lässt die Banken aufatmen. Manche Häuslebauer hofften, ihre Immobilie mit dem EuGH-„Widerrufs- joker“ günstiger refinanzieren zu können. Doch der BGH legt sein Veto ein. 410 www.fondsprofessionell.de | 2/2020 steuer & recht I widerrufsjoker

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