FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2020

Ein Urteil für alle Neben dem Kapitalanleger-Musterverfahren gibt es seit 2018 die Musterfeststellungsklage. Solche „Sammelklagen“ sollen Verbrau- chern helfen. Vermittler haben aber nicht viel zu befürchten. D ie Sache ist juristisch starker Tobak: Andreas Tilp, Anwalt, Gründer und Mitgeschäftsführer der Tilp Rechtsanwalts- gesellschaft aus Kichentellinsfurt bei Tübin- gen, hat die Finanzaufsicht Ba n Ende Juli 2020 beim Landgericht (LG) Frankfurt wegen Amtsmissbrauchs im Fall Wirecard verklagt. Sein Vorwurf: Die Aufsicht habe jahrelang und unter grober Verletzung ihrer Aufgaben und Befugnisse eigene Ermittlungen gegen die Wirecard AG verweigert.Wäre die Behörde rechtzeitig in Aktion getreten und hätte den Kapitalmarkt über den Verdacht auf Bi- lanz- und Marktmanipula- tion informiert, so wären Anlegern hohe Verluste erspart geblieben. Noch nicht entschieden Um für geschädigte Anle- ger Schadenersatz herauszu- holen, hat Tilp ein Verfahren nach dem Kapitalanleger- Musterverfahrensgesetz (Kap- MuG) zumOberlandesgericht (OLG) Frankfurt beantragt. Falls es genehmigt wird, was bis zum Redaktionsschluss noch nicht feststand, so wä- re es das erste KapMuG-Ver- fahren gegen eine Behörde. Das Kapitalanleger-Mu- sterverfahrensgesetz ist bereits 2005 in Kraft getreten. Das Gesetz ermöglicht es Privatanle- gern, institutionellen Investoren und ande- ren Unternehmen, die sich von einem An- walt vertreten lassen, in einer Art „Sammel- klage“ vor Gericht Schadenersatz zu for- dern. Und zwar dann, wenn sie sich auf- grund von mutmaßlich falschen, irrefüh- renden oder unterlassenen Kapitalmarktin- formationen um ihr Geld gebracht sehen. Im November 2018 hat das KapMuG so- zusagen eine „kleine Schwester“ bekom- men – die Musterfeststellungsklage.Mit ei- ner solchen Klage dürfen sogenannte „qua- li zierte Einrichtungen“, in erster Linie Ver- braucherzentralen und -verbände, versu- chen, für eine Vielzahl eventuell geschädig- ter Verbraucher eine Entscheidung zu er- streiten, die ihnen zu Schaden- ersatz oder Rückzahlungen ver- helfen kann.Während das Kap- MuG es geprellten Anlegern er- möglicht, kollektiv Ansprüche durchzusetzen, soll die Muster- feststellungsklage Kunden von Unternehmen aller Branchen dabei unterstützen, schließlich an ihr Recht zu kommen. Die Zeit läuft Für Tilp läuft nun die Zeit. Wenn seinem Antrag stattgegeben und dieser in den elektronischen Bundesanzeiger eingetragen wird, bleiben ihm sechs Mo- nate Zeit, um mindestens zehn weitere gleichlautende Klagen einzureichen. Nur dann kann ein Verfahren erö net werden. Gleichlautend bedeutet dabei, dass sogenannte Feststel- lungsziele de niert werden, die möglichst abstrakt und allge- mein zu halten sind, damit sie auf zahlreiche Einzel-Kläger zutref- fen. „Wir machen im Fall Wire- card Kursverluste geltend, die Anleger mit der Aktie des Unternehmens unbe- streitbar erlitten haben“, so Aktenstapel und Klagen über Klagen: In einem KapMuG-Verfahren können sie zusammengefasst werden. Dies könnte eventuell auch im Fall Wirecard gelingen. STEUER & RECHT Sammelklagen FOTO: © RDNZL | STOCK.ADOBE.COM, TILP RECHTSANWALTSGESELLSCHAFT 418 fondsprofessionell.de 3/2020

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