FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2022

Zweitens breitet sich in vielen Ländern Populismus aus, nicht zuletzt in den USA. Und es ist zu befürchten, dass das zu Natio- nalismus und zu einer Abschottung von den Weltmärkten führt. Man sieht es in Großbritannien, wo auf einmal in vielen Bereichen Mangel herrscht. Handelsbar- rieren sorgen für steigende Preise, ohne dass sich die Gewinnmargen erhöhen. Die Notenbanken haben mit ihrer Niedrig- zinspolitik jahrelang für absehbare Ent- wicklungen gesorgt. Ändert sich das jetzt? Oft wird den Notenbanken vorgeworfen, sie hätten mit ihrer Niedrigzinspolitik die hohen Aktien- und Immobilienpreise ver- ursacht. Doch letztendlich sind die Noten- banken nur der Überbringer der Nach- richt. Dass die Zinsen in den vergangenen Jahrzehnten tendenziell gesunken sind, liegt hauptsächlich daran, dass wir unheim- lich viele Ersparnisse in der Welt haben. Das ist auch demografisch, durch die Alte- rung, bedingt. Die Leute gründen keine Unternehmen mehr, sondern geben das Geld der Bank. Wenn das Ersparnisange- bot zu groß ist und es zu wenige Unter- nehmen gibt, die auf Kredite angewiesen sind, dann fällt eben der Preis für diese Er- sparnisse. Diesen Trend mussten die Zentralbanken begleiten, wenn sie die Wirtschaft nicht abwürgen wollten. Und die globalen Vermögen steigen weiter. Sollten wir uns also auf dauerhaft tiefe Zinsen einstellen, obwohl die Notenbanken gerade in die Gegenrichtung gehen? Generell bleibt das Umfeld tiefer Zinsen. Selbst die amerikanische Notenbank gibt in ihren langfristigen Prognosen den Leit- zins mit nur zweieinhalb Prozent an. Der Markt sieht sogar etwas geringere Werte. Das heißt, ein Zinsniveau von zweieinhalb Prozent wird als ausreichend erachtet, um die Inflationsgefahr in Schach zu halten. Das ist sehr, sehr wenig. Es impliziert einen Realzins von nur rund null Prozent. Das wiederum ist für uns die wichtigste Deter- minante für die Bepreisung von Vermö- genswerten; von Immobilien, Gold, Anlei- hen und letztendlich für die Aktionäre: Der Realzins ist entscheidend, wenn ich mir überlege, ob die Kurs-Gewinn-Verhält- nisse bei Aktien angemessen sind. Was bedeuten diese langfristig niedrigen Realzinsen dann für Anleger? Das ist letztendlich ganz beruhigend. Trotz der nun zu erwartenden Leitzinserhöhun- gen dürften die Realzinsen nicht übermä- ßig steigen. Anleger müssen daher nicht befürchten, dass ihre Investments deutlich an Wert verlieren. Reiche hatten zuletzt viel höhere Vermö- genszuwächse als Durchschnittsverdiener. Bei der Fed-Sommersitzung wurde ange- deutet, dass die ungleiche Vermögensver- teilung zu den tiefen Zinsen beiträgt. Muss man über einWegbrechen der Mittelschicht und über Verteilungsfragen nachdenken? Da gab’s tatsächlich ein unglaublich span- nendes Papier.Die Autoren haben erstmals herausgefunden, dass nicht nur die Demo- grafie zu dem hohen Vermögensangebot führt, sondern auch die Vermögensvertei- lung. Und da entsteht natürlich gesell- schaftspolitisches Konfliktpotenzial. Diese ungleiche Verteilung von Vermögen könn- te ein Faktor sein, der viel, viel länger für niedrige Zinsen sorgt – nämlich weit über die Phase der geburtenstarken Babyboomer hinaus.Da bin ich gespannt, wie die Politik auf diesen Befund reagiert. Ich denke, wir brauchen eine starke Mittelschicht, um eine stabile Gesellschaft zu haben. Vielen Dank für das Gespräch. EDITH HUMENBERGER-LACKNER FP » Die ungleiche Ver- teilung von Vermögen könnte ein Faktor sein, der viel, viel länger für niedrige Zinsen sorgt. « Karsten Junius, J. Safra Sarasin KURZ-VITA: Karsten Junius Karsten Junius ist seit 2014 Chefvolkswirt von J. Safra Sarasin in Zürich. Zuvor war er in Schlüsselpositionen des Internationalen Währungsfonds (IWF) tätig. Der promovierte Ökonom hat bei mehreren Asset Managern gearbeitet und ist in der universitären Lehre aktiv. FOTO: © GÜNTER MENZL 154 fondsprofessionell.de 1/2022 MARKT & STRATEGIE Karsten Junius | J. Safra Sarasin

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