FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2022

deutschen Markt vorgelegt hat, konstatiert einen „kreativen Wildwuchs“. Die Analys- ten entdeckten zunehmend neue „Grund- fähigkeiten“ wie das Fahrradfahren, die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs oder das Lkw-Fahren. Ein neuer Trend sei- en zudem berufsspezifische „Grundfähig- keiten“ wie „Ziehen und Schieben“ für pflegerische Berufe oder die Benutzung von Atemschutzgeräten. Doch mit dem Wunsch nach Alleinstellungsmerkmalen verhagelten sich Versicherer die Vertriebs- bilanz und verunsicherten Vermittler und Verbraucher. „Bei einem jungen Produkt- segment geht es erst einmal um Vertrauen, und das erreicht man eher mit vergleich- baren Kernleistungen als mit exklusiven Vorteilen im Randbereich der Produkte“, kritisiert F&B-Geschäftsführer Franke. Eigene Definitionen „Für die sachgerechte Bewertung von Grundfähigkeiten sind Mindeststandards unverzichtbar“, meint Christian Monke, Leiter Analyse bei F&B. Grundfähigkeiten klingen eindeutig: Stehen, Sitzen, Gehen, Gebrauch der Hände, Knien oder Bücken – davon hat schließlich jeder eine klare Vorstellung. „Doch beim Blick ins Kleinge- druckte ist es mit der Klarheit schnell vor- bei. Lediglich die Überschriften sind ver- gleichbar, doch dann fasst jeder Anbieter unterschiedliche Tätigkeiten mit eigenen Definitionen“, weiß Monke. Allein für den „Handgebrauch“ gebe es 28 verschiedene Formulierungen, also mitunter mehrere Differenzierungsmerkmale bei ein- und demselben Anbieter. Die Konsequenz: Der Anspruch auf Leistungen steht und fällt mit der jeweiligen Umschreibung. Um sicherzustellen, dass ein Topgrund- fähigkeitsprodukt alle gängigen Fähig- keiten und Bewegungseinschränkungen abdeckt, haben die F&B-Analysten ein eigenes Grundfähigkeitenraster entwickelt. Alle Leistungsdefinitionen der Versicherer werden darin fachlich eingeordnet – völlig unabhängig davon, unter welcher Rubrik der jeweilige Versicherer die Fähigkeit führt. Das Rating prüft auf dieser Grundlage für insgesamt 15 Kerngrundfähigkeiten, ob eine entsprechende Definition in einer aus- reichenden Wertigkeit im Bedingungswerk aufgeführt ist. Diese Kernkompetenzen sind: Sehen, Hände gebrauchen (Feinmo- torik), Hände gebrauchen (Greifen, Kraft aufwenden), Hände gebrauchen (Beweg- lichkeit), Sprechen,Hören,Gehen, Treppen- steigen, Knien oder Bücken, Stehen, Arme bewegen, Heben und Tragen, Autofahren, Sitzen, geistige Leistungsfähigkeit. Aktuell schneiden dabei 33 Tarife von 13 Lebens- versicherern hervorragend (FFF+) ab und erhielten allesamt die Schulnote 0,5. Auch das Analysehaus Morgen & Mor- gen (M&M) hat in seinem Rating nur 15 Grundfähigkeiten als relevante Leistungs- auslöser einbezogen. „Wir unterstützen die Vermittler mit dem Rating in der Bera- tung, bei der es auf die individuelle Be- trachtung der Fähigkeiten ankommt“, sagt Andreas Ludwig, Bereichsleiter Analyse & Ratings bei M&M. Er sieht es ebenfalls kri- tisch, dass die Zahl der Leistungsauslöser bei vielen Tarifen konstant zunimmt. „Schließlich soll die Grundfähigkeitsver- sicherung eine bezahlbare Variante der Arbeitskraftabsicherung bleiben“, meint Ludwig. Eine flächendeckende Absiche- rung würde diesem Prinzip zuwiderlaufen. Aktuell werden 92 Tarife von 20 Lebensver- sicherern mit der Höchstbewertung von fünf Sternen bewertet. Konkretere AVB Kritisch sieht auch die Ratingagentur Assekurata den Wildwuchs bei den Tarifen. Noch immer sei der Leistungsumfang der Tarife auf den ersten Blick nur schwer ver- gleichbar. Die Definitionen in den AVB dienten vornehmlich zur Diversifizierung der Produkte im Anbieterwettbewerb, ohne einen versicherungstechnischen Mehrwert zu stiften. „Autofahren ist keine Grundfähigkeit im engeren Sinne“, sagt Assekurata-Analyst Arndt von Eicken. Es gebe aber Hoffnung: „Erste Gesellschaften versuchen hier entgegenzuwirken.“ Kompliziert und komplex wird es, die für den individuellen Beruf benötigten Fer- tigkeiten zu bestimmen und mit dem Leis- tungsversprechen der verschiedenen Tarife abzugleichen, warnt von Eicken. Eine sehr gute Ausnahme sei der Tarif „Plan D – Die 3“ der Dortmunder Lebensversicherung, der durch den Baustein „Die Arbeit“ echte Arbeitskraftabsicherung bietet, falls der Versicherte nicht mehr mindestens drei Stunden am Tag arbeiten kann. „Aber auch andere Anbieter sind auf dem Weg zu neuen, klaren Leistungsvor- aussetzungen“, hat von Eicken beobachtet. Die Nürnberger Versicherung etwa hat 2021 bei der Überarbeitung ihrer Grund- fähigkeitspolice „GD4Future“ die Anfor- derungen an das „Greifen und Halten“neu formuliert: „Die Fähigkeit der versicherten Person, mit einer Hand einen Gegenstand zu greifen und zu halten, ist zumindest an einer ihrer beiden Hände stark beeinträch- » Gut ist, wenn die Leistungsauslöser nicht abschließend aufgezählt sind. « Philip Wenzel, BSC fondsprofessionell.de 2/2022 307 FOTO: © DORIS KÖHLER

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