FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2022

register des elektronischen Bundesanzeigers öffentlich bekannt gemacht. Die Bekannt- machung markiert einen wichtigen Zeit- punkt. Denn von da an können Geschä- digte, die noch keine Klage erhoben haben, ihren Anspruch innerhalb von sechs Monaten schriftlich beim BayObLG an- melden. Eine Anmeldung hemmt bis zum Abschluss des Verfahrens die Verjährung. Es kann Jahre dauern Für die Gemeinschaft der Kläger be- ginnt nun eine Wartezeit. Sie können am Fortgang der Dinge zwar mitwirken, in- dem sie Schriftstücke oder Rechtsmittel lie- fern. Ansonsten aber müssen sie sich gedul- den, bis das Bayerische Oberste Landesge- richt seine Entscheidung trifft und ein so- genannter Musterentscheid ergeht. „Ein KapMuG-Verfahren dauert meist viele Jah- re“, weiß Anwalt Mattil. Andererseits ist der Zug durch die Instanzen bei Einzelklagen auch nicht in wenigen Monaten erledigt. Ein großer Vorteil des KapMuG-Verfah- rens liegt darin, dass es den Gelbeutel der Kläger im Vergleich zu individuellen Pro- zessen weniger belastet. Und: Entscheiden die Richter zu ihren Ungunsten, geht das Verfahren meist in die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH). „Bei ande- ren Verfahren lässt der BGH eine Revision oft nicht zu,bei solchen nach demKapMuG hingegen schon“, sagt Mattil. Den größten Pluspunkt bieten aber die üblicherweise sehr allgemein formulierten Feststellungs- ziele.Der Grund dafür: Geht ein KapMuG- Verfahren für die Klägerseite gut aus, erfasst die Entscheidung sämtliche Beteiligten glei- chermaßen. „Theoretisch ist es möglich, dass EY im Lauf des Verfahrens oder wenn der Muster- entscheid zu Ungunsten der Prüfungs- gesellschaft ausfällt, einen Vergleich anbie- tet“, erklärt Mattil. Für sehr wahrscheinlich hält er das aber nicht. Daher werden Wirecard-Aktionäre im Fall eines für sie positiven Urteils ihre indi- viduellen Ansprüche vermutlich vor dem LGMünchen I durchsetzen müssen. Denn anders als bei US-Sammelklagen (siehe Kasten unten) wird in einem KapMuG- Verfahren über die Feststellungsziele, nicht aber über die Höhe des Schadenersatzes einzelner Kläger entschieden. Sollte das BayObLG eines Tages zu einer für die Investoren positiven Entscheidung kommen, so brauchen sie diese dem Land- gericht aber nur noch schriftlich vorzule- gen. „Die Richter sind an den rechtskräfti- gen Musterbescheid gebunden und kön- nen gar nicht anders kann, als diesem zu folgen“, sagt Anwalt Kühler. Und das wären dann wirklich einmal richtig gute Nach- richten aus München. ANDREA MARTENS FP » Theoretisch ist es möglich, dass EY im Lauf des Verfahrens einen Vergleich anbietet. « Peter Mattil, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht US-Sammelklagen und die neue EU-Gesetzgebung Class Action: In den USA gibt es seit vielen Jahren echte Sammelklagen. Im Vergleich zum deutschen KapMuG- Verfahren lassen sich zahlreiche Unterschiede erkennen. So ist es etwa möglich, einen Beklagten zur Herausgabe von belastendem Be- weismaterial zu zwingen, was in Deutschland nicht vorgesehen ist. Auch entscheiden hierzulande keine Geschworenen über den Ausgang eines Verfahrens. Der zentrale Unter- schied zwischen der US-Sam- melklage „Class Action“ und dem KapMuG ist jedoch das Opt-out- Modell. Dabei wird zunächst eine bestimmte Gruppe von mutmaßlich Geschädigten, die „Class“, definiert. Alle Personen und Unternehmen, die unter diese Definition fallen, gehören automatisch zur Class. Da die Grup- pe der mutmaßlich Geschädigten damit sehr groß ausfällt, baut sich enormer Druck auf den Beklagten auf. Ergeht ein Urteil, steht den Ge- schädigten Schadenersatz zu, ohne dafür vor Gericht ziehen zu müssen. Darum machen Beklagte oft üppige Vergleichsangebote. Europäische Richtlinie: Die EU-Richtlinie 2020/1828 über Verbandsklagen ist am 24. Dezember 2020 in Kraft getreten. Sie sieht weitreichende Möglichkei- ten für Sammelklagen vor. So kön- nen „qualifizierte Institutionen“ wie Verbraucherverbände für Geschädig- te künftig kollektiv klagen. Die Orga- nisationen müssen von den Behör- den ihres Mitgliedsstaates als klage- berechtigt anerkannt sein, dürfen nicht gewinnorientiert arbeiten und müssen Rechenschaft darüber ab- legen, wie sie eine Sammelklage finanzieren. Derartige Klagen sind nur möglich, wenn ein nationales Gericht oder eine Behörde bereits einen Rechtsbruch durch ein Unter- nehmen festgestellt hat. Dann aber dürfen die Institutionen kollektiv direkt auf Schadenersatz klagen. Solche Sammelklagen sind selbst- verständlich auch im Bereich von Finanzdienstleistungen zulässig. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen die Richtlinie bis zum 24. Dezember 2022 in nationales Recht umsetzen und haben weitere sechs Monate Zeit, um sie anzuwenden. STEUER & RECHT Wirecard-Verfahren 438 fondsprofessionell.de 2/2022 FOTO: © PETER MATTIL | FACHANWALT FÜR BANK- UND KAPITALMARKTRECHT

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