FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2022

Thorsten Weinelt, seit Mai dieses Jahres Chefanlagestratege der Commerzbank, über Geldanlage in Zeiten hoher Inflation, die neue Vermögensverwaltung des Instituts und die Frage, wie aus seiner Kapitalmarktmeinung konkrete Anlagevorschläge werden. E in gutes Vierteljahrhundert arbeitete Thorsten Weinelt für die Unicredit- Gruppe, unter anderem als Chefstratege des Gesamtkonzerns und als Leiter des Geschäfts mit hochvermögenden Kunden der Hypovereinsbank.Mitte Mai wechselte er dann zur Commerzbank, wo er die Posi- tion des scheidenden Chefanlagestrategen Chris-Oliver Schickentanz übernahm. Das Interview mit FONDS professionell findet im „Turmzimmer“ der Bankzentrale statt, hoch über den Dächern Frankfurts. Herr Weinelt, die Rolle des „CIO“ unter- scheidet sich von Bank zu Bank mitunter deutlich. Sie sind Chefanlagestratege der Commerzbank. Wie sind Ihre Aufgaben umrissen? Thorsten Weinelt: Als Chief Investment Officer bin ich mit meinem Team dafür verantwortlich, die Kapitalmarktmeinung der Commerzbank und die daraus resultie- rende Asset-Allokation für unsere Kunden in der Vermögensverwaltung und der Wertpapierberatung zu formulieren. Wir bestücken auch die Musterdepots für ver- schiedene Kundengruppen, auf die unsere Anlageberater dann zugreifen. Als Beson- derheit kommt die „VV by CIO“ hinzu: Für diese imWesentlichen fondsgebundene Vermögensverwaltung, die wir seit Beginn dieses Jahres anbieten, verantworte ich nicht nur die Asset-Allokation, sondern auch die Auswahl sämtlicher Portfoliobestandteile. Wie groß ist Ihr Team hier bei der Com- merzbank? Wir sind etwa 30 Kollegen, aufgeteilt in zwei Teams.Das eine Team ist für die Asset- Allokation und die Investmentstrategie zuständig. Im anderen Team finden Sie die Anlagestrategen für Aktien, Anleihen,Wäh- rungen und Rohstoffe sowie die Kollegen, die Empfehlungen zu Einzelaktien abgeben. Kommen wir zu dem volkswirtschaftlichen Phänomen, das die Geldanlage seit Mona- ten dominiert: Bleibt uns die Inflation in dieser Höhe länger erhalten? Die Inflation hat nicht nur die Notenban- ken, sondern auch die meisten Volkswirte in ihrer Dynamik überrascht. Eine Rolle spielen nicht mehr nur die steigenden Prei- se für Energie und Agrarrohstoffe, die mit dem Krieg in der Ukraine zu erklären sind, sondern es gibt längst Zweitrundeneffekte. Die Erzeugerpreise schnellen in einem Tempo nach oben, das viele für undenkbar hielten. Das ist vor allem eine Folge der gestörten Lieferketten, unter anderem we- gen der Null-Covid-Strategie in China.Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Teue- rungsraten in diesem Jahr zwar ihren Hö- hepunkt erreichen, aber die Inflation wird auch in den kommenden Jahren deutlich höher liegen als früher und hartnäckig über der Zwei-Prozent-Schwelle bleiben, die die Notenbanken anstreben. Mit Blick auf die Inflation kann man insofern schon von einer Zeitenwende sprechen. In den USA ist die Wirtschaft heißgelaufen, darum erhöht die Fed die Zinsen, um die Nachfrage zu drosseln. In Europa ist das anders: Hier herrscht kein Konsumrausch, sondern es klemmt auf der Angebotsseite. Kann die Zentralbank in einem solchen Fall mit Zinserhöhungen überhaupt etwas erreichen? „Man kann schon von einer Zeitenwende sprechen“ » In diesem Jahr erleben wir Historisches – leider: Sowohl auf der Aktien- als auch auf der Rentenseite gibt es erhebliche Verluste. « Thorsten Weinelt, Commerzbank FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH 378 fondsprofessionell.de 3/2022 BANK & FONDS Thorsten Weinelt | Commerzbank

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