FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2025
Arbeitsvisum Schlange stehen würden. Dazu kommt ein Kreditüberhang, der viel zu langsam abgebaut wird. Zudem lenkt die Regierung nach eigenem Gutdünken Kapital in politisch gewünschte Sektoren. Geld wird weniger produktiv eingesetzt als in westlichen Marktwirtschaften. Also auch keine China-Aktien ins Depot? Aus Top-down-Perspektive würde ich keine chinesischen Aktien kaufen. Aber es gibt natürlich immer einzelne Unternehmen, die sehr interessant sein können. Das ist allerdings eher etwas für Stockpicker, die sich zudem des politischen Risikos bewusst sein müssen. In den USA haben sich die mächtigsten Firmenchefs rasch mit den neuen politi- schen Machtverhältnissen arrangiert. Wie stark verändert die enge Verknüpfung von politischer und wirtschaftlicher Macht die Spielregeln – droht eine Art Wirtschafts- oligarchie? Grundsätzlich ist es nicht schlecht, wenn die Politik auch auf die Wirtschaft hört. Langfristig ist die Bündelung politischer und wirtschaftlicher Macht aber eine große Gefahr. Wenn die größten Firmen sich so vor Konkurrenz schützen können, ist das schlecht für denWettbewerb. Auf Dauer ist das Trump-Programm meiner Meinung nach, wie schon gesagt, nicht wirtschafts- förderlich – und es ist zudem politisch gefährlich. Trumpmöchte ja ein Pro-Bitcoin-Präsident sein und hat bereits seine eigene Meme Coin lanciert. Was halten Sie von Krypto- währungen als Anlageklasse? Kryptowährungen sind aus Anlegersicht meiner Meinung nach noch nicht über den Status von Spielgeld hinaus. In Län- dern wie Argentinien kann ich gut verste- hen, dass Menschen Bitcoin und Gold als Währungsersatz haben möchten, da die eigene Währung zumindest bis vor Kur- zem lange Zeit so schlecht war. Aber in Europa ist das für mich keine ernsthafte Anlage zum Vermögensaufbau. Interessan- tes Spielgeld eben. Hat Trump darüber hinaus auch das Zeug zum Pro-Wall-Street-Präsidenten? Der US-Aktienmarkt hat rasch viel Positi- ves eingepreist, und davon haben auch Trumps Wirtschaftsfreunde pro tiert. Sollte Trump jetzt übertreiben bei Zöllen oder Migration, dann würde das zu einem deut- lichen Kursabschwung führen. Das würde Trump und seine superreichen Berater hof- fentlich zu Korrekturen zwingen. Sie alle haben ein Interesse an hohen Aktienkur- sen. Ich sehe aber mit Blick auf die Zu- kunft eher Nachholpotenzial bei europäi- schen Aktien und hier ganz besonders bei kleinen und mittleren Unternehmen rela- tiv zu den großen US-Unternehmen. Sie selbst prägten 1998 den Begriff von Deutschland als „kranker Mann Europas“. Wie hat sich der Zustand des Patienten seitdem entwickelt? Nach der Diagnose verschlechterte sich der Zustand erst einmal, bis die Reformen der Agenda 2010 griffen. In den 2010er-Jahren erntete Deutschland dann die Früchte der Reformen mit Wirtschaftswachstum, Voll- beschäftigung und einem soliden Staats- haushalt. Ich hatte damals ein „goldenes Jahrzehnt“ vorhergesagt. Aber das Jahr- zehnt ist längst vorbei.Wie so oft, wenn es einem gut geht, ruht man sich auf den Lor- beeren aus. Andere, die sich mehr ange- strengt haben, zogen in den letzten Jahren vorbei. Dazu kamen die unausgewogene Energiepolitik und Putins Angriff auf die Ukraine. Deutschland ist nicht der kranke Mann Europas, aber das Land braucht dringend Reformen, um wieder echtes Wachstum zu erzielen! In Deutschlandmöchte die potenzielle Koa- lition aus Union und SPD noch im alten » Allein mehr Geld ausgeben reicht nicht. Zusätzlich brauchen wir klare Reformen. « Holger Schmieding, Berenberg FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH MARKT & STRATEGIE Holger Schmieding | Berenberg 130 fondsprofessionell.de 1/2025
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