FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2025
beinahe in Echtzeit nachvollziehen, welche Produkte und Dienstleistungen bei den Konsumenten aktuell gefragt sind. Der ein- fache Weg wäre nun zu überprüfen, ob der Aktienkurs eines Unternehmens steigt, wenn sich aus den Kreditkartendaten eine höhere Nachfrage ablesen lässt. Aber das wäre Ihnen zu einfach? Der eigentliche ökonomische Kanal ist ein anderer: Höhere Ausgaben der Konsumen- ten müssten zu einer Überraschung mit Blick auf den Umsatz des jeweiligen Unter- nehmens führen. Sprich: Die Umsatzsteigerung an sich könnte schon eingepreist sein. Der Aktien- kurs reagiert nur, wenn das Umsatzplus unerwartet hoch ausfällt. Genau. Darum überprüfen wir, ob sich aus den Kreditkartendaten eine Umsatzüber- raschung prognostizieren lässt. So systema- tisch wir auch vorgehen, so ökonomisch fundamental orientiert ist unsere Denk- weise. Sobald wir unser Regelwerk gefun- den haben, halten wir uns aber auch strikt daran. Denn es hat sich schon häu g ge- zeigt, dass die menschliche Intuition beim Investieren nicht hilfreich ist. Wir sind im falschen Moment zu gierig – und dann wieder im falschen Moment zu vorsichtig. Zurück zur Ausgangsfrage: Sie greifen also nie händisch in den Anlageprozess ein? Nur in absoluten Ausnahmesituationen. Als Wladimir Putin vor drei Jahren die Ukraine überfallen ließ, haben wir bei- spielsweise russische Aktien aus den Port- folios verkauft, weil absehbar war, dass sie schon bald nicht mehr zu handeln sein würden. So etwas lässt sich mit einem Quant-Modell nicht abbilden. Ein weiterer Punkt, bei dem wir manuell eingreifen, sind Datenfehler – aber das ist ein nor- maler Korrekturprozess. Wie hat Ihr Modell die Zinswende 2022 ver- daut? Viele Algorithmen überforderte das, weil sie aus der Vergangenheit gewisser- maßen gelernt hatten, dass die Zinsen nur sinken können. Die Zinswende war kein Problem für un- ser Modell. Wir investieren faktorbasiert mit einem Fokus auf Qualität, Bewertung und Momentum. Der Bewertungsfaktor, also Value, war vorher jahrelang eher ab- gestraft worden. Im Grunde rät Ihnen der Bewertungsfaktor, Wertpapiere zu kaufen, die Ihnen relativ schnell zurückzahlen, was Sie investiert haben. Mit den fallenden Zinsen sank die Diskontierungsrate jedoch immer weiter, weshalb Value an Relevanz verloren hat. 2022 änderte sich das schlag- artig – und der Bewertungsfaktor funktio- nierte extrem gut.Wenn Sie Unternehmen mit guter Bilanzqualität im Portfolio ha- ben, schadet das in einer solchen Phase auch nicht. Und der Momentumfaktor hat nicht so sehr geschadet, wie das vielleicht zu befürchten war. Was uns sehr geholfen hat, ist die Tatsache, dass wir Äpfel mit Äpfeln vergleichen. Soll heißen? Viele naive Faktormodelle, wie sie mitunter in Smart-Beta-ETFs umgesetzt werden, neu- tralisieren beispielsweise die Bewertung nicht über Branchen hinweg. Da wird eine Bank mit einem Technologieunternehmen verglichen. Doch das ist kein fairer Ver- gleich. Ich gehe davon aus, dass Tech-Fir- men auch in 20 Jahren höher bewertet sein werden als eine Bank – aus gutem Grund, denn ihre Wachstumsdynamik ist eine ganz andere.Wir dagegen gehen keine großen Sektorwetten ein, sondern suchen innerhalb der verschiedenen Branchen die attraktivsten Aktien. Auch das hilft dabei, mit Strukturbrüchen wie etwa der Zins- wende umzugehen. Liegt nicht gerade in der Sektorgewichtung der größte Hebel? Vor zehn Jahren waren US-Tech-Werte deutlich niedriger bewertet als heute. Es hätte sich ausgezahlt, damals verstärkt auf diesen Sektor zu setzen. » Uns ist wichtig, das ökonomische Kalkül hinter einem Signal zu verstehen. « Erhard Radatz, Invesco FOTO: © CORNELIS GOLLHARDT MARKT & STRATEGIE Erhard Radatz | Invesco 160 fondsprofessionell.de 1/2025
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