FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2025

Jan Birnbaum I Advyce & Company „ Transparenz allein reicht nicht aus“ Jan Birnbaum, Partner bei der Beratungsgesellschaft Advyce & Company aus Düsseldorf, im Interview über Filialschließungen bei Banken, intuitive Videolösungen und KI-Beratung. D er Wirtschaftsinge- nieur Jan Birnbaum berät seit mehr als zehn Jah- ren Finanzdienstleister. Be- vor er zu Advyce &Compa- ny kam, arbeitete er für die Consultants Ernst & Young, Capco und Accenture. Herr Birnbaum, viele Ban- ken schließen Filialen und versuchen, Kunden auf die digitalen Kanäle umzuleiten. Wem gelingt dies am besten? Jan Birnbaum: Besonders erfolgreich sind Banken, die Digitalisierung nicht nur als E zienzmaßnahme sehen, sondern als Möglichkeit, ihre Kundenansprache zu individualisieren.Die Deutsche Bank und die Commerzbank setzen dabei Maß- stäbe: Beide Banken etablierten digitale Beratungscenter, die nicht nur Technolo- gie, sondern auch persönliche Betreuung nahtlos integrieren. Solche Strategien sind entscheidend, da digitale Kanäle heute weit mehr leisten müssen als reine Trans- aktionsabwicklung. Sie müssen Interak- tionen bieten, die auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sind. Unsere Benchmarks zeigen, dass Banken mit einer klaren Digitalstrategie, kombiniert mit intelligenter Technologie wie KI-gestützter Beratung oder intuiti- ven Plattformen, langfristig die stärksten Kundenbindungen aufbauen können. In den letzten Jahrzehnten wurden im- mer mehr Kompetenzen aus den Filialen herausgezogen. Gegen Ende der 1980er-Jahre gab es dort oft noch eine Firmen- und Gewerbekundenbera- tung, die wurde dann zen- tralisiert. Gleiches passierte später mit den Vermögens- beratern. Sind die Banken selbst schuld am Nieder- gang der Filialen? Der Rückzug von Kom- petenzen aus den Filialen war Teil eines langfristigen Trends, der auf Kostenreduzierung und Zentralisierung abzielte. Dabei wurde jedoch übersehen, dass Filialen mehr als nur Transaktionsorte sind – sie waren lan- ge Zeit die Basis für Vertrauen und Kun- dennähe. Die schrittweise Verlagerung der Beratung auf zentrale Einheiten und digitale Kanäle mag betriebswirtschaftlich sinnvoll gewesen sein, hat jedoch dazu geführt, dass die Bedeutung der Filiale für den Kundenkontakt stark unterschätzt wurde.Heute sehen wir, dass Banken, die hybride Modelle etablieren – mit digita- len Kanälen für Alltagsgeschäfte und spe- zialisierten Beratungszentren für komple- xe Anliegen – erfolgreicher sind. Diese Ansätze bieten eine optimale Kombina- tion aus E zienz und persönlicher Bin- dung, die gerade bei wichtigen Finanz- entscheidungen unverzichtbar bleibt. Was passiert mit älteren Kunden, die oft vermögend, aber nicht digitalaffin sind? Viele ältere Kunden fühlen sich ausge- schlossen, da die Digitalisierung oft ohne Rücksicht auf ihre Bedürfnisse vorange- trieben wird. Besonders vermögende Kunden, die auf persönliche Beratung an- gewiesen sind, bleiben eine wichtige Ziel- gruppe, die nicht nur durch standardisier- te Lösungen abgeholt werden kann. Er- folgreiche Ansätze verdeutlichen, dass auch diese Kunden für digitale Kanäle er- reichbar sind, wenn die Technologie ein- fach, verständlich und unterstützend ge- staltet wird. Ein gutes Beispiel ist hier die Kombination aus mobiler Beratung und intuitiven Videolösungen, die persönliche Betreuung mit technischer E zienz ver- binden. So können Banken ältere Kun- den weiterhin e ektiv betreuen, ohne sie zu überfordern oder zu entfremden. Viele Kunden ärgert, dass die Bankge- bühren trotz höheren Technikeinsatzes und immer weniger Standortenweiterhin steigen. Sollten die Institute ihre Kosten- strukturen offener darlegen? Eine o ene Kommunikation über die tatsächlichen Kostentreiber – etwa hohe Investitionen in IT-Infrastruktur oder stei- gende regulatorische Anforderungen – könnte mehr Verständnis scha en. Trans- parenz allein reicht jedoch nicht aus: Es muss klar erkennbar sein, welchen Mehr- wert die Kunden durch diese Verände- rungen erhalten. Banken, die es scha en, den Nutzen ihrer Investitionen in Tech- nologie – etwa schnellere Prozesse, ver- besserte Sicherheitsstandards oder perso- nalisierte Services – sichtbar zu machen, können das Vertrauen der Kunden zu- rückgewinnen. MARCUS HIPPLER FP Jan Birnbaum, Advyce: „Persönliche Bindung bleibt unverzichtbar.“ fondsprofessionell.de 1/2025 401 FOTO: © ADVYCE & COMPANY

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