FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2025

Die echten Reformen liegen noch vor uns, sagt Wirtschaftsforscher Marcel Fratzscher vom DIW. Im Interview erklärt er, welche Weichen die Politik stellen muss, was gute und schlechte Schulden sind – und auf welche Investments er setzen würde. W ohl kaum ein anderer Ökonom ist so nah an der Berliner Politik wie Marcel Fratzscher, und das gibt bereits sein Arbeitsplatz vor: Vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das Fratzscher leitet, sind es nur ein paar Minuten ins Regierungsviertel. Im Gespräch wird aber rasch deutlich, dass die wirtschaftspolitischen Vorstellungen sehr viel weiter auseinanderliegen. Herr Fratzscher, in Ihrer Sommerprogno- se schreiben Sie, die Zukunft Deutsch- landshängedavonab, obPolitik,Wirtschaft und Gesellschaft eine neue Stimmung des Vertrauens und der Zuversicht schaffen können. Wie zuversichtlich sind Sie denn dapersönlichnachdenerstenMonatender RegierungMerz? Marcel Fratzscher: Ich bin optimistisch, GDVV ZLU GLHVH :HQGH OHW]WOLFK VFKDȬHQ Aber wir haben als Gesellschaft noch nicht verstanden, dass wir wirklich große, drastische Veränderungen brauchen. Viele glauben, dass wir uns irgendwie durch- wursteln könnenmit der einen oder ande- ren Maßnahme: Ein bisschen Energie- subvention hier, ein bisschen Bürokratie- abbau dort, dann klappt das schon. Das ist aber eine Illusion. Was imKoalitionsvertragsteht, reicht Ihnen nicht? Im Koalitionsvertrag hat man 80 Prozent der Probleme noch nicht einmal benannt. Die 20 Prozent, die man erkannt hat, wer- den mit dem Sondervermögen für Infra- struktur und Verteidigung adressiert. Das wird aber nicht reichen. Die Krise muss wohl erst noch tiefer werden, bevor man echte Reformen umsetzt. Die Situation erinnert etwas an die späten 1990er-Jahre, als immer deutlicher wurde, dass Deutsch- land nicht mehr wettbewerbsfähig war. 'DPDOV HQWVWDQG DXFK GHU %HJULȬ YRP „krankenMann Europas“. Es dauerte aber noch Jahre, bis im Jahr 2002 die „Agenda 2010“ kam, und weitere drei Jahre, bis sie wirkte. In denke, wir bewegen uns in ähn- lichen zeitlichen Größenordnungen. Braucht Deutschland ein grundsätzlich neuesWirtschaftsmodell? Unser Wirtschaftsmodell ist das beste Modell, das wir haben können – und wir sollten auch in der Zukunft darauf setzen. Ich widerspreche ganz deutlich denen, die sagen, das sei durch die Exportstärke Chi- nas und die Zollpolitik der USA überholt. Im Gegenteil: Globale Lieferketten sind wichtiger denn je. Um sich gegenüber Schocks jeglicher Natur zu schützen, müs- VHQ )LUPHQ GLYHUVLlj]LHUW VHLQ (LQH EUHLWH Aufstellung bei den Lieferketten wie den Absatzmärkten ist der Schlüssel. Das ist eine der drei großen Transformationen, vor denen wir heute stehen. Unddieanderenbeiden? Die zweite ist die technologische Transfor- mation hin zu ökologischer Nachhaltig- keit und Digitalisierung und die dritte ist die soziale Transformation. Das ist meiner Meinung nach die schwierigste. Die Bevöl- kerung muss Veränderungen mittragen. Wenn die Politiker Veränderungen am Reißbrett planen und glauben, dass die Menschen mitziehen müssen, geht das schief. Schon heute zeigt sich ja, dass die „Wir sparen viel, aber schlecht und ungleich “ » Im Koalitionsvertrag hat man 80 Prozent der Probleme noch nicht einmal benannt. « Marcel Fratzscher, DIW FOTO: © MARTIN PETERDAMM PHOTOGRAPHY FÜR FONDS PROFESSIONELL | BEARBEITET MIT KI MARKT & STRATEGIE Marcel Fratzscher | DIW 172 fondsprofessionell.de 3/2025

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=