SACHWERTE SPEZIAL, Sonderausgabe 2023

Millionen sein – ein Zuwachs von 27,3 Prozent binnen 17 Jahren. Die Zahl der über 80-Jährigen soll in diesem Zeitraum sogar um 66,7 Prozent von sechs auf zehn Millionen Menschen steigen. Angesichts dieses demografischen Wan- dels galten Seniorenimmobilienfonds und Direktanlagen in Pflegeapartments lange als langfristige, solide Investments. Doch daran weckt nun die gegenwärtige Pleite- welle Zweifel. Bereits vergangenes Jahr haben nach Angaben des Informationspor- tals Pflegemarkt.com in Deutschland 142 Pflegeheime ihren Betrieb eingestellt. Betreiber überfordert Das Geschäft mit Seniorenimmobilien, das „von außen betrachtet nach einemMe- gamarkt aussieht, kommt nun ins Schwan- ken“, sagt Jens Rautenberg, Geschäftsführer der Kölner Conversio-Gruppe, die Immo- bilienkapitalanlagen für Finanzvertriebe analysiert. Die wirtschaftliche Unsicherheit, Corona, Personalnot und steigende Be- triebskosten stellten die bisherigen Betrei- bermodelle auf den Prüfstand. „Die Betrei- ber können die steigenden Kosten bei aus- fallenden Einnahmen oft nicht kompen- sieren“, so Rautenberg. „Schieflagen und Zahlungsausfälle sind die Folge.“ Immer mehr Pflegeheimbe- treiber ringen erfolglos mit den Konsequenzen der Inflation. Nicht nur die Personalkosten sind gestiegen, auch Lebensmit- tel, Energie, selbst Reiniger und Seife haben sich verteuert. „Das geht an die wirtschaftliche Sub- stanz“, sagt VKAD-Chef Wede- king. „Viele Betreiber können die deutlich gestiegenen Kosten nicht mehr auffangen.“ Zwar haben diese ihre Ge- bühren für Kost und Logis be- reits mehrfach erhöht. Doch nun scheint das Ende der Fah- nenstange erreicht. „Seit 2019 wurden hier die Kosten bereits viermal auf zuletzt 3.300 Euro angehoben“, sagt die 81-jährige Anna-Maria Stellmacher, die seit sechs Jahren in einer Hamburger Altenwohnanlage mit angeschlossener Pfle- gestation lebt. Als ehemalige Biologin er- halte sie zwar eine gute Rente und verfüge über ein solides Sparguthaben. „Sollte aber eine weitere Erhöhung kommen, wäre ich gezwungen, in eine kleine Wohnung zu ziehen und mich im Bedarfsfall von einem ambulanten Pflegedienst betreuen zu las- sen“, sagt die Rentnerin. Zwar arbeitet die Bundesregierung an einer Pflegereform. Die Pläne genügen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege – Awo, Caritas,Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie, Paritätischer Wohl- fahrtsverband und ZWST Zentralwohl- fahrtstelle der Juden in Deutschland – je- doch nicht. „Der Finanzierungsbedarf allein für die kurzfristige Stabilisierung der Finan- zen 2023 beträgt mindestens 4,5 Milliarden Euro“, kritisieren die Spitzenverbände. Rückläufige Transaktionen Die Gemengelage hat Profiinvestoren vorsichtig gemacht. Nach einer Studie des Immobiliendienstleisters Savills wurden im ersten Quartal dieses Jahres nur noch Gesundheitsimmobilien – vom Pflegeheim bis hin zu Kliniken – im Gesamtwert von 453 Millionen Euro in Deutschland erwor- ben. „Damit lag das Transaktionsvolumen um 39 Prozent unter dem durchschnitt- lichen Quartalsvolumen der vergangenen fünf Jahre“, sagt Savills-Branchenspezialist Max Eiting. Dennoch sollten Anleger nicht generell von Pflegeinvestments Abschied nehmen. „Den ganzen Markt auszuklammern wäre vorschnell“, sagt Rautenberg. „Kleinteilige Konzepte wie Pflege-Wohngemeinschaften bilden die goldene Mitte zwi- schen Risiko und Rendite.“ Ähnlich wie bei klassischen Pflegeheimen miete ein Betrei- ber die Objekte mit zumeist zwei Pflege-WGs und einigen Servicewohnungen komplett an und organisiere den laufen- den Betrieb und die Unterver- mietung. „Dass das Betreiber- risiko geringer ausfällt als bei Pflegeheimen, liegt an der Struktur dieser Objekte“, sagt Rautenberg. „Grundsätzlich handelt es sich hier umWohn- gebäude, in die Menschen zur Miete einziehen.“ Die Unter- mietverträge seien dabei insol- Wenig Umschlag Handel mit Pflegeimmobilien in Deutschland Im ersten Quartal dieses Jahres wechselten nur 21 Pflegeimmobilien ihren Besitzer. In guten Zeiten waren es doppelt so viele. Quelle:Savills Zahl der Transaktionen 0 10 20 30 40 50 16 45 21 2014 2015 I I 2016 2017 I I 2018 2019 I I 2020 2021 I I 2022 ’23I » Den ganzen Markt auszu- klammern wäre vorschnell. « Jens Rautenberg Conversio fondsprofessionell.de 2/2023 49 FOTO: © TIM FRANKENHEIM | CONVERSIO

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