Axel Weber: "Massive Zinssenkungen sind reines Wunschdenken"
Angesichts der abflauenden Inflation gehen viele Marktteilnehmer davon aus, dass die Notenbanken noch dieses Jahr die Zinsen kräftig nach unten schrauben werden. Warum das nicht passieren wird, erklärte der frühere Bundesbank-Präsident Axel Weber in seiner Rede auf dem FONDS professionell KONGRESS.
Im Vorfeld der ersten Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) im neuen Jahr dämpft Axel Weber, Präsident des Center for Financial Studies an der Goethe-Universität Frankfurt, die Hoffnungen auf deutliche Zinssenkungen in naher Zukunft. "Die Geldpolitik hat jetzt bei den Zinsen den Straffungszyklus beendet", sagte der frühere Bundesbank-Präsident und Ex-UBS-Verwaltungsratschef in seiner Rede, mit der er den FONDS professionell KONGRESS am 24. Januar eröffnete.
Die Zinsen würden für einige Zeit nahe dem jetzigen Niveau verharren. "Starke kurzfristige Zinssenkungserwartungen sind aber reines Wunschdenken", so Weber. Dies gelte für die Eurozone ebenso wie für die USA. In beiden Fällen entschieden vor allem Zweitrundeneffekte und Lohnrunden darüber, wie die Notenbanken weiter vorgehen.
Lockere Geldpolitik war jahrelang Haupttreiber der Aktienmärkte
In seinem Vortrag beleuchtete Weber die Geldpolitik und die Finanzmärkte 2024, zeigte aktuelle Entwicklungen und mittelfristige Perspektiven auf. Zunächst jedoch warf er einen Blick in die Vergangenheit. "Die Niedrigzinsen und die quantitative Lockerung der Geldpolitik waren seit der Finanzkrise der Haupttreiber der Aktienmärkte", sagte Weber. Dieser ist aufgrund der zwischenzeitlich hohen Inflation und mit den gestiegenen Zinsen entfallen.
"Das bedeutet aber nicht, dass die Aktienmärkte nicht weiter boomen können", so Weber. Ein Blick auf US-Daten aus der Vergangenheit zeige deutlich, dass es immer dann zu Einbrüchen gekommen sei, wenn die Zinsen in einer Rezession heruntergeschraubt worden sind. Sowohl die Wirtschaft in den USA als auch in der Eurozone zeigte sich aber stabil, massive Zinssenkungen seien in naher Zukunft nicht zu erwarten. Daher spreche nichts dagegen, dass sich Aktien auch in diesem Jahr weiterhin gut entwickeln könnten – wenn auch nicht in der Breite. "Es sind vor allem die großen Tech-Unternehmen, die enorm von den Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz profitieren werden, die die Indizes nach oben treiben", erklärte Weber.
Anleger können derzeit nichts falsch machen
Für Anleger hatte Weber gute Nachrichten. "Derzeit kann man weder mit Bonds noch mit Aktien viel falsch machen", sagte der Experte, der auch den Kölner Vermögensverwalter Flossbach von Storch berät. In den USA lägen die Kupons von zehnjährigen Staatsanleihen aktuell sogar über den Dividendenrenditen. In der Eurozone sei dies zwar noch nicht der Fall. Insgesamt sei derzeit aber keine negative Korrelation von Aktien und Bonds zu erkennen, daher seien Anleihen nicht als komplementäre, sondern als alternative Anlage zu sehen.
Mit der Geldpolitik der Währungshüter im Euroraum sowie in den USA geht der Experte hart ins Gericht. Diese hätten das Inflationsproblem zu spät erkannt und daher mit zu großer Verzögerung gehandelt. So sei etwa für die Eurozone bereits in den statistischen Daten von 2020 zu sehen gewesen, dass die Preissteigerungsraten höher waren als in den zehn Jahren zuvor, als die Inflationsrate deutlich unter zwei Prozent lag. Da die EZB nicht handelte, liefen die Inflationsraten aufgrund der Corona-Krise und des Ukraine-Kriegs schließlich heiß.
Zu spät, aber entschlossen gehandelt
"Die Geldpolitik hat dann zu spät, aber sehr entschlossen reagiert und die Zinsen massiv gestrafft", sagte Weber. Die Notenbanken hätte riesige Sprünge bei den Zinserhöhungen gemacht, um der Inflation nicht hinterherzulaufen, sondern die Teuerungsraten wieder in den Griff zu bekommen, erklärte er. Dieses Vorgehen werde deutliche Spuren bei Konjunktur und Finanzstabilität hinterlassen, ist Weber überzeugt.
Zwar habe die Inflation global ihren Höhepunkt überschritten und strebe in Richtung zwei Prozent. "Die Konsumentenpreise sind in den USA und im Euroraum jedoch um mehr als 25 Prozent gestiegen und bleiben erhöht. Die Forderungen der Gewerkschaften nach einer Kompensation des vergangenen Kaufkraftverlusts werden lauter", sagte Weber. Diese seien gerechtfertigt und würden vermutlich auch über einen Ausgleich des vorangegangenen Verlusts hinausgehen.
Irrwitzige Diskussion
Von Marktteilnehmern gibt es oft die Erwartung, die Notenbanken würden die Zinsen bereits 2024 in mehreren Schritten deutlich senken. "Ich glaube auch, dass die Zinsen sinken werden, aber nicht auf, sondern um ein Prozent", so Weber. Das sei ein deutlicher Unterschied, wenn man von einem Niveau von fünf Prozent komme. "Zu massiven Zinssenkungen wird es nur im Falle einer Rezession oder einer Finanzkrise kommen", sagte Weber. "Beides erwarten die Marktteilnehmer aber nicht." Die Diskussion um eine Anhebung des Inflationsziels in der Eurozone hält der Experte für irrwitzig. Dafür würde sich die EZB seiner Meinung nach auch nicht entscheiden.
Die Folgen der verspäteten und daher massiven Zinserhöhungen seien deutlich zu sehen. So ist die Bauaktivität stark rückläufig, die Hauspreise fallen, die Insolvenzen im Bausektor nehmen zu, die Qualität neuer Immobilienkredite sinkt. Die Krise der Baubranche werde mittelfristig auf andere Sektoren Auswirkungen haben, sagte Weber. (am)