Frank Appel: "Deutschland hat ein Umsetzungsproblem"
Zu viel Bürokratie, schlechte Infrastruktur, überalternde Gesellschaft: Die Probleme seien der deutschen Politik bekannt, doch sie gehe sie nicht tatkräftig an, befand der Telekom-Aufsichtsratschef Frank Appel auf dem FONDS professionell KONGRESS. Das müsse sich ändern.
Deutschland muss wieder mehr Kapitalismus wagen. Diese Auffassung vertrat Frank Appel, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post und derzeit Aufsichtsratsvorsitzender der Telekom, im Gespräch mit Götz Albert, Chefanlagestratege des Vermögensverwalters Lupus Alpha, auf dem FONDS professionell KONGRESS. "Ich glaube, wir haben hierzulande weniger ein Erkenntnis- als vielmehr ein Umsetzungsproblem", erklärte Appel in der Diskussion über Lösungen für die stark angeschlagene deutsche Wirtschaft.
Fundamentale Probleme wie eine überbordende Bürokratie, eine marode Infrastruktur, die überalternde Gesellschaft und die daraus resultierende Rentenlücke seien längst bekannt. "Es wird darüber gesprochen, aber es wird nichts grundlegend geändert", sagte Appel. Doch genau darauf komme es an. Die Politik und auch die Unternehmen müssten sich jetzt darauf konzentrieren, was sie selbst verändern können, statt über Faktoren zu lamentieren, die sich nicht ändern lassen, zum Beispiel die Wiederwahl Donald Trumps zum US-Präsidenten.
Hohe Innovationskraft
"Wir haben natürlich Einflussfaktoren, die man nicht kurzfristig ändern kann, etwa die demografische Situation", sagte Götz Albert. Es gebe aber auch zahlreiche Punkte, an denen die Politik relativ schnell ansetzen könnte. "Dazu gehört zum Beispiel der gesamte Bürokratieüberbau, den man sicherlich zügig verringern könnte", befand Albert. Auch an weiteren Faktoren, die Investitionen hemmten, wie zu hohe Steuern oder Genehmigungsverfahren, könnte schnell gearbeitet werden. "Investitionen unterbleiben ja nicht, weil wir keine Innovationen mehr hervorbringen", sagte Albert. "Deutschland verfügt nach wie vor über eine hohe Innovationskraft. Wenn man diese zum Blühen bringt, wird auch wieder investiert."
Es werde derzeit häufig über Wohlstand geredet, nicht jedoch darüber, wie dieser eigentlich entsteht, erklärte Telekom-Aufsichtsratschef Appel. Dabei sei es so simpel. "Man muss entweder mehr Menschen haben, die arbeiten, oder die Leute müssen länger oder aber produktiver arbeiten", so Appel. Das sei der einzige Weg, um Wohlstand zu schaffen. "Wir müssen uns wieder darauf konzentrieren, Maßnahmen zu ergreifen, die mit Innovation die Produktivität steigern, oder wir müssen mehr arbeiten", erklärte er.
Wirtschaftspolitik ist wieder Thema
Die Ausgangssituation für Reformen sei angesichts der lahmenden deutschen Wirtschaft und der bevorstehenden Bundestagswahl sehr gut, findet Götz Albert. "Nachdem drei Jahre lang sehr viel über Verteilung und über Klimapolitik geredet wurde, ist Wirtschaftspolitik auf einmal wieder das Thema", sagte er. "Meine Hoffnung ist, dass die Politik nun tatsächlich viele Dinge aufbricht und Wachstumsimpulse ermöglicht", erklärte Albert. "Und ich glaube, es ist allen klar geworden, dass man nicht mehr verteilen kann. Wir müssen einfach wieder wachsen."
Frank Appel stellte für die nächste Legislatur eine "Maßnahmen-Agenda" zusammen. Erstens müsste ein Drittel der Bundesausgaben für die Verwaltung gekürzt werden. Zweitens brauche es eine Rentenreform. Weiterhin sollte sich die Politik – so, wie es Unternehmen heute schon tun – einfach mal in Europa umsehen. "In Europa gibt es für jedes gesellschaftliche Problem irgendwo eine Best-Practice-Lösung", sagte Appel. Zudem forderte er die Abschaffung der Bundesländer, die "alles nur noch komplizierter" machten. Und nicht zuletzt sprach er sich eindeutig für Migration aus, um dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. "Die Grenze zu zu machen, ist sicherlich keine Lösung", sagte der Ex-Chef der Deutschen Post.
Flexibler Mittelstand
Im Kampf gegen den Fach- und Führungskräftemangel seien deutsche Mittelständler oft flexibler als große Unternehmen. "Die Small und Mid Caps sind innovativ, halten ältere Mitarbeiter länger in der Beschäftigung und vermindern oder verhindern Vorruhestand, indem sie die Arbeitszeiten flexibilisieren", berichtete Albert. "Sie steigern die Frauenerwerbstätigkeit, weil sie Lösungen für die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf anbieten, teilweise mit eigener Kindergarteninfrastruktur", fuhr er fort. Zudem qualifizierten die Firmen Mitarbeiter mit Berufsprofilen, die künftig eventuell nicht mehr gebraucht werden, und schulten sie um.
"Es ist der große Vorteil von mittelständischen Unternehmen, dass sie oft unabhängig von politischen Vorgaben und Förderprogrammen agieren", konstatierte Albert. "Sie schauen stattdessen selbst sehr genau in ihre Belegschaften und sagen: 'Bevor wir hier die Arbeit nicht gemacht kriegen, gucken wir, wie wir das flexibilisieren'". Auf diesem Gebiet sei viel mehr möglich, als es heute vorstellbar ist. Auch auf dem Gebiet der Digitalisierung sehe es in Deutschland nicht so schlecht aus wie oft beklagt. "Wir haben immer noch eine sehr gute Ausbildung und verfügen über eine hohe technische Lösungskompetenz. Und dazu gehört natürlich heute in jeder Form auch Digitalisierung", sagte Albert. (am)