Sarasin-Ökonom Junius: "Anleihen sind momentan attraktiver als Aktien"
Karsten Junius, Chefvolkswirt von J. Safra Sarasin, erwartet eine milde Rezession und ein Absinken der Inflation auf zwei bis drei Prozent. Im Gespräch mit FONDS professionell ONLINE erklärt er, auf welche Signale Anleger achten müssen, was für Anleihen spricht und welche Aktien interessant sind.
Herr Junius, seit wir uns vor einem Jahr gesprochen haben, sind wir von einer deflationären Nullzinswelt in das komplette Gegenteil gekippt. Traut man sich als Ökonom noch langfristige Prognosen zu?
Karsten Junius: Ja, natürlich. Gerade jetzt suchen unsere Investoren Perspektiven. In unsicheren Zeiten kommt es einfach sehr darauf an, dass wir die kurz- und mittelfristige Aussicht verzahnen. Kurzfristig hängt alles von den Energie- und Lebensmittelpreisen ab. Und da sehen wir schon: Der Energiepreisschock des Vorjahres wiederholt sich wahrscheinlich nicht; der Winter ist warm, die Gaslagerbestände sind hoch, die Energiekosten werden wieder sinken. Mittelfristig werden wir hingegen sehr genau beobachten, wie sich die Kerninflationsrate, also die Teuerung ohne die Energiepreise, entwickelt. Und wir schauen auf die Lohnentwicklung. Das ist die große Unbekannte. Bleibt der Arbeitsmarkt eng, oder steigen die Arbeitslosenquoten? Das hat große Auswirkungen auf den Lohndruck und die Inflation.
Wenn die befürchtete Rezession eintritt, werden auch die Arbeitslosenzahlen steigen...
Junius: Normalerweise ja. In Rezessionszeiten gehen typischerweise die Arbeitslosenquoten nach oben und der Lohndruck sinkt. Aber jetzt haben wir die Situation, dass es sehr schwierig ist, Arbeitskräfte zu bekommen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Unternehmen sagen, "Ich entlasse weniger Leute, als ich es sonst bei einem Rückgang tun müsste". Dadurch würden die Einkommen stabiler bleiben. Die Rezession würde nicht so stark werden.
2022 war für Anleger schwierig. Mit Aktien und Anleihen hat man gleichermaßen verloren. Heute schauen angesichts steigender Zinsen wieder alle auf Anleihen. Wird die Rechnung aufgehen?
Junius: Mit höheren Inflationsraten bleiben die Zinsniveaus höher. Wenn man auf sichere festverzinsliche Anlagen höhere Kupons bekommt, sinken die fairen Bewertungsniveaus von anderen Vermögensklassen wie Aktien, Gold oder Immobilien, die dann einfach nicht mehr so attraktiv erscheinen. Es ist sicher nicht so, dass man mit Aktien kein Geld mehr verdient. Aber der Rückgang der Kurs-Gewinn-Verhältnisse bei Aktien dürfte dauerhaft sein. Investmentgewinne wird es hier nicht mehr einfach aus Bewertungszuwächsen geben, sondern über steigende Unternehmensgewinne. Und die Gewinne wachsen halt in konjunkturell holprigen Zeiten nicht gerade in den Himmel. Also würden wir aus der relativen Bewertung sagen, Anleihen sind momentan attraktiver als Aktien.
Die Inflation lässt sich in vielen Anleihensegmenten aber auch noch nicht schlagen…
Junius: Vergangenes Jahr war die Inflation definitiv deutlich höher als das, was man am Rentenmarkt erwirtschaften konnte. Wenn wir aber nach vorne schauen, kann man mit Anleihen durchaus über der Inflation verdienen. Man darf hier nicht den Anleihenzins mit der aktuellen Inflation vergleichen, sondern mit der Teuerungsrate in den nächsten zwölf Monaten; denn für diesen Zeitraum kriege ich den Zins. Und da wäre ich einigermaßen zuversichtlich, dass wir in ein attraktives Umfeld kommen.
Das heißt, ein stärkeres Sinken der Inflation als man es vielleicht heute noch annimmt? Welche Teuerungsraten erwarten Sie?
Junius: Wir sehen in den kommenden zwölf Monaten die Teuerung in der Währungsunion bei zwei bis drei Prozent. Es kann sogar ein weiteres Absinken geben, je nachdem, wie sich die Energiepreise entwickeln. Für die USA ist dies ähnlich. Da sehen dann die Anleihenrenditen schon wieder ganz attraktiv aus.
Im Vorjahr war man glücklich, wenn man viel Bares hatte. Wie sieht es heute mit einem Sicherheitspolster aus?
Junius: Das erste, was man sich fragen sollte, ist, wie viel Cash man haben möchte. Wir sind heute in einer komplett anderen Situation als im Vorjahr. Selbst wenn man pessimistisch ist für die Inflation, ist es attraktiver, das Geld in Anleihen zu haben als in Cash. Es ist wirklich die zentrale Entscheidung, wie viel man im liquiden Bereich braucht. Es gibt bereits bei Qualitätsanleihen Möglichkeiten, zwei bis vier Prozent zu bekommen. Je nach Laufzeiten. Auch für ein Jahr kann man Renditen von zwei, drei Prozent erhalten. Das ist schon mal mehr als die null Prozent, die wir in der Regel auf Barbeständen verdienen.
Wie ist Safra Sarasin bei Aktien gewichtet?
Junius: In unseren institutionellen Anlagen sind wir bei Aktien noch etwas untergewichtet, weil wir befürchten, dass die Unternehmensgewinne erst einmal zurückgehen werden. Das im Unterschied zum Vorjahr, wo die Unternehmen ihre Margen noch ausweiten konnten, weil die Konsumenten in der Mangelsituation nach Gütern gelechzt haben. Also: etwas Vorsicht bei Aktien. Mit einer Ausnahme. Wir haben zuletzt Aktien aus Emerging Markets und China stärker gewichtet. China aufgrund des Nachholkonsums, der sich dort während der letzten drei Jahre aufgebaut hat. Und die Emerging Markets profitieren wiederum von Chinas Öffnung. Zusätzlich verbessert sich ihre Finanzierungssituation, weil die US-Dollar-Stärke ihren Höhepunkt gesehen haben dürfte. Das hilft den Schwellenländern, die häufig in Dollar verschuldet sind.
Wie stark wird Ihrer Meinung nach die Rezession in Europa ausfallen? Im Vorjahr gab es düstere Prognosen; jetzt mehren sich die Stimmen, die sagen, der Abschwung wird kaum der Rede wert sein.
Junius: Tatsächlich werden wir wahrscheinlich einen milderen Abschwung haben als wir das im Herbst befürchtet haben. Dank der wieder gefallenen Energiepreise, der fiskalischen Unterstützung und der Öffnung Chinas ist eine Rezession in Europa nicht mehr unser Hauptszenario. In den USA ist das anders, da die Leitzinsen dort inzwischen ein sehr restriktives Niveau erreicht haben.
Haben sich die Ökonomen bei den teils finsteren Voraussagen von der negativen Stimmung verleiten lassen oder waren die Daten so schlecht?
Junius: Im vergangenen Herbst waren die Indikatoren noch extrem rezessiv. Das Konsumentenvertrauen ist tiefer gefallen als während des ersten Lockdowns in der Pandemie. Auch bei den Unternehmen ist das Vertrauen weggekippt. Die Energiepreise, die in Europa wesentlich für die realen Einkommen sind, sind in die Höhe geschossen. Da konnte niemand keine Rezession prognostizieren. Normalerweise zieren wir Ökonomen uns ja, von einer Rezession zu reden, weil davon keiner hören mag. Diesmal waren wir uns aber einig. Ich glaube, das hat auch eine Dynamik ausgelöst: Weil es alle prognostiziert haben, hat die Politik rasch reagiert mit dämpfenden Maßnahmen, wie Energiepreisbremsen. Deshalb kommen wir da besser raus.
Also: die geeinte Warnung vor der Rezession hat der Rezession ein paar Punkte abgeknöpft?
Junius: Ganz klar. Wir sind in der Lage gewesen, vieles zu antizipieren. Auch die Unternehmen konnten ihre Lager anpassen. Eine unvorbereitete Rezession ist immer schlimmer.
Vielen Dank für das Gespräch. (eml)