Aberdeen Standard: Von schwarzen Schwänen und grauen Nashörnern
Andrew Milligan, Head of Global Strategy bei Aberdeen Standard Investments, erklärt die Unterschiede zwischen schwarzen Schwänen und grauen Nashörnern und wie diese die Karten an den Märkten neu mischen.
Die meisten Finanzkrisen sind laut Andrew Milligan, Head of Global Strategy bei Aberdeen Standard Investments, nicht als "Schwarze Schwäne“, sondern eher als "Graue Nashörner“ zu klassifizieren. Erstere bezeichnen unvorhersehbare und seltene Ereignisse wie den Crash von 1987, die Terroranschläge vom 11. September 2001, die Invasion in Kuwait oder aktuell das Coronavirus. Bei anderen Krisen war nicht ihre Vorhersehbarkeit, sondern vielmehr die Unsicherheit bezüglich des Zeitpunkts ihres Eintretens das Hauptproblem.
"Streng genommen handelt es sich bei einem schwarzen Schwan um ein nicht planbares Ereignis, das zudem überaus selten auftritt. Legt man diese Definition zugrunde, so stellen Pandemien äußerst ungewöhnliche Ereignisse dar – zumal sich die letzte globale Pandemie (Spanische Grippe) in den Jahren 1918 und 1919 ereignete", erläutert Milligan. Dagegen wurden viele der Finanzkrisen der letzten Jahre vorhergesagt, darunter auch die TMT-Blase und ihr Zerplatzen. Das Hauptproblem bestand seiner Ansichts nach darin, dass nicht mit Sicherheit gesagt werden konnte, wann dies passieren würde. "Viele Marktbeobachter hatten 2006/2007 vor der schlechten Verfassung des US-Immobilienmarktes gewarnt; für Überraschung sorgten dann aber die Komplexität und das schwache Fundament des Finanzsystems. Greenspan hatte Ende der 1990er-Jahre bereits mehrere Jahre lang auf die teuren Bewertungen am US-Aktienmarkt hingewiesen, bevor die Blase dann schließlich zerplatzte", so der Aberdeen-Standard-Investments-Experte
Zeit heilt alle Wunden – zumindest fast alle
Am besten ließen sich die aktuelle Wirtschaftskrise oder frühere Ereignisse wie der TMT-Crash im Jahr 2000 und die berüchtigte Bankenkrise aus dem Jahr 2008 mit einem Waldbrand vergleichen, der unablässig wütet und scheinbar alles um sich herum verschlingt. "Doch eben nur dem Anschein nach alles – denn die Natur hat ihre Wege, damit fertig zu werden. Innerhalb von Tagen und Wochen keimen die Samen neuer Pflanzen, die unter dem Blätterdach der alten Bäume nicht hätten gedeihen können."
Die aktuelle Situation treffe bestimmte Sektoren sehr hart, so zum Beispiel Fluggesellschaften und Touristik, Sport und Glücksspiel, Gastronomie und Immobilien. Dagegen beginnen viele andere Sektoren zu florieren, darunter selbstverständlich der Pharma- und Gesundheitsbereich, aber auch Segmente wie Videokonferenzen und Heimunterhaltung, mobile Bezahllösungen und Lieferdienste. "Anlegern stellt sich die Frage, ob, wann und wie das Coronavirus umfassende lang anhaltende Veränderungen im sozialen und wirtschaftlichen Verhalten nach sich ziehen wird, so zum Beispiel eine deutliche Abnahme von Geschäftsreisen, ein stärkeres Augenmerk auf eine saubere Umwelt sowie die offensichtlichen Probleme höherer Gesundheitsausgaben für Regierungen, die sich bereits mit sehr hohen Schuldenständen konfrontiert sehen", präzisiert Milligan.
Was lehrt uns die Vergangenheit?
Jede Krise isei anders. Vor allem gibt es Unterschiede im Hinblick auf ihre Ursachen und die Sektoren, die unmittelbar betroffen sind. "So wurden beispielsweise die Reisebranche nach den Terroranschlägen vom 11. September, das Finanzsystem nach der Lehman-Pleite und europäische Banken und Regierungen infolge der Euro-Krise in Mitleidenschaft gezogen." Das Verhaltensmuster der Anleger sei hingegen immer gleich: Leugnung, Wut, Panik, Akzeptanz und Reaktion. Die an zahlreichen Finanzmärkten zu beobachtende Volatilität lässt darauf schließen, dass sich "Panik“ und "Akzeptanz“ derzeit abwechseln.
"Die Vergangenheit hat auch gezeigt, dass sich die Rezepte der Regierungen unterscheiden, wenn nur ein einzelnes Unternehmen oder vielleicht ein Sektor unter Druck gerät. Bei früheren Krisen sprang vor allem die Geldpolitik in die Bresche, doch dieses Mal ist es an der Fiskalpolitik, die Verluste zu begrenzen. Angesichts der massiven Unterstützung von Regierungsseite ist letztendlich mit einer Erholung zu rechnen", schlussfolgert der Investmentprofi. (aa)