"Ein ESG-Stempel für Rüstungsaktien ist bedenklich"
Roland Kölsch, der Hauptverantwortliche für das FNG-Siegel, im Interview mit FONDS professionell ONLINE über den Schritt einiger Asset Manager, ihre Nachhaltigkeitsfonds für Aktien und Anleihen von Rüstungsfirmen zu öffnen.
Publikumsfonds mit Fokus auf Sicherheit und Verteidigung verzeichnen starke Zuflüsse, zugleich streichen Fondsgesellschaften wie Allianz Global Investors den Ausschluss von Rüstungstiteln aus nachhaltigen Fonds. Roland Kölsch, der beim Wissenschaftsverein FIRST das FNG-Siegel für Nachhaltigkeitsfonds verantwortet, sieht das kritisch. Zum einen seien Waffen nicht nachhaltig, zum anderen bestehe kein Finanzierungsengpass. Er vermutet, dass auch andere Gründe bei der Aufnahme von Rüstung in Nachhaltigkeitsfonds eine Rolle spielen.
Herr Kölsch, immer mehr an Nachhaltigkeitskriterien orientierte Artikel-8-Fonds investieren offiziell auch in Rüstungskonzerne. Sind Waffen plötzlich nachhaltig?
Roland Kölsch: Die Fondsanbieter nutzen die geänderte gesellschaftliche Einstellung, um lukrative Rüstungsanlagen in nachhaltigen Produkten einzusetzen. Das kann man nachvollziehen, aber am Ende müssen die Anleger selbst entscheiden, ob sie das mit ihrer Nachhaltigkeitsüberzeugung vereinbaren können.
Was sind denn die jeweiligen Argumente, die für oder gegen Waffen in Nachhaltigkeitsfonds sprechen?
Kölsch: Befürworter führen den sozialen Charakter von Waffen als Verteidigung gegenüber dem Bösen an, beziehen sich auf die wehrhafte Demokratie und argumentieren, dass es ohne Frieden, der leider mit Waffengewalt oder Abschreckung gesichert werden müsse, keine Nachhaltigkeit gäbe. Manche führen sogar die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die "Sustainable Development Goals" (SDGs), ins Feld, da SDG-Ziel Nummer 16 auch Frieden umfasst ...
… und die Gegner?
Kölsch: Gegner und viele Experten, die sich schon lange mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen, haben ein Problem mit Waffen: Der nachhaltige Zweck Frieden heiligt noch lange nicht das zerstörerische Mittel. Auch der Rückgriff auf bekannte Nachhaltigkeits-Rahmenwerke wie die 17 SDGs, die Pariser Klimaziele, die EU-Taxonomie als Katalog umweltbezogener Wirtschaftsaktivitäten, kirchliche Leitfäden oder das naturwissenschaftliche Konzept planetarer Belastungsgrenzen sehen Waffen nicht als nachhaltig an. Im Gegenteil: Die von positiven Beiträgen sprechenden SDGs fordern sogar deren Reduzierung, trotz oder gerade wegen der Einbeziehung von Frieden in das SDG-Ziel Nummer 16.
Hat sich zuletzt auch die zugrundeliegende Regulierung verändert?
Kölsch: Es war nie wirklich verboten, mit einem Nachhaltigkeitsfonds auch in Rüstung zu investieren. Ein Artikel-8-Fonds darf fast alles, solange der Anbieter erklärt, wie er sich zu den Nachhaltigkeits-Charakteristika stellt und zukünftig auch mit 80 Prozent seines Portfolios entsprechend der neuen ESMA-Fondsnamenleitlinien investiert, insofern sein Produkt einen nachhaltigkeitsbezogenen Namen trägt.
Wenn es gar keine große Änderung ist, warum kommunizieren die Anbieter das dann öffentlichkeitswirksam?
Kölsch: Der Ausschluss von Waffen war lange Marktkonsens und gelangte auch in das nationale Verbändekonzept, das sogenannte ESG-Zielmarktkonzept. Nach dieser Systematik richten sich die Anbieter und Vertriebe, um sicherzugehen, dass ein Finanzprodukt insbesondere in Zusammenhang mit der Mifid-Regulatorik, Stichwort Nachhaltigkeitspräferenzen, im Vertrieb integrierbar ist. Dieses Konzept wurde jüngst an die neue europäische Regulatorik, insbesondere an die Fondsnamenleitlinien angepasst, um eine deutsche Sonderhürde zu vermeiden. Das heißt zwar nicht, dass man Waffen aufnehmen muss, diejenigen, die das tun, kommunizieren diese Änderung aber an ihre Kunden, um hier transparent zu sein.
Welche Rolle spielt die zuletzt starke Performance der Rüstungsaktien bei der Entscheidung?
Kölsch: Das Performance-Argument hängen die Anbieter nach außen ganz tief auf, intern spielt es aber sicher eine enorme Rolle. Wenn man als Portfoliomanager an einer traditionellen Benchmark gemessen wird und die Rüstungsaktien wie Hensoldt und Rheinmetall durch die Decke gehen, dann hat man einen gewissen Renditenachteil – umso mehr in einer Marktphase, in der Renewables gerade nicht so gut laufen. Die Fondsmanager müssen nach jedem Performance-Grashalm angeln. Ich vermute: Wenn die Rüstungsaktien nicht so extrem zugelegt hätten, hätte niemand nach der Aufnahme in Nachhaltigkeitsfonds gerufen. Im Umkehrschluss ist aber gerade wegen dieser enormen Performance nun Vorsicht angesagt, da die Börse vermutlich schon viel vorweggenommen hat.
Auch die Politik möchte das aber unterstützen: Die EU-Kommission möchte das Verhältnis von Rüstung und Nachhaltigkeit in der kommenden Novelle der EU-Offenlegungsverordnung (SFDR) klären: Werden wir künftig Rüstungsinvestments auch in Artikel-9-Fonds sehen?
Kölsch: Die Revision der Offenlegungsverordnung soll im vierten Quartal dieses Jahres kommen. Abgesehen davon, dass es fraglich ist, ob es die SFDR-Artikel 6, 8 und 9 noch geben wird, wird eine Aufnahme von Waffen in die EU-Taxonomie diskutiert. Diese Debatte halte ich für sehr gefährlich. Schon die Einstufung von Atomenergie als nachhaltig war schwierig, wenn man die Lagerung der abgebrannten Brennstäbe oder potenzielle Nuklearunfälle berücksichtigt. Das widerspricht der Vorgabe an die Taxonomiefähigkeit, nicht zugleich andere Umwelt-Ziele zu schädigen – bekannt als "Do no significant harm"-Prinzip. Bestimmte Politiker sehen die Taxonomie mittlerweile als Geldquelle für die Sanierung ihrer Kernkraftwerke an, etwa über erleichterte Abschreibungen, Subventionsmöglichkeiten oder besseren Zugang zu Krediten. Wenn die EU das nun auch bei Waffen macht, wird es irgendwann beliebig.
Das FNG-Siegel gilt hierzulande als wichtigstes unabhängiges Gütesiegel für nachhaltige Anlageprodukte. Wie diskutieren Sie den Umgang mit Investments in Rüstung?
Kölsch: Wir hatten dieses Jahr eine Konsultation unter den Nutzern des Siegels, darunter Versicherer, Stiftungen, Pensionskassen und unabhängige Finanzberater. Dabei zeigte sich: Die Investoren befürworten die Ausschlusskriterien im Siegel, und auch die große Mehrheit der Asset Manager, die das Siegel haben, möchte diese beibehalten. Das gilt für den Ausschluss von Waffen und Rüstung offenbar gerade auch, weil die Trennlinien am Markt zunehmend verschwimmen. Rüstungsfinanzierung ist meiner Meinung nach notwendig, aber da noch einen Nachhaltigkeitsstempel drauf zu setzen, halte ich für bedenklich.
Was wäre, wenn das Feedback der Siegel-Nutzer anders ausgefallen wäre?
Kölsch: Wir werden nun jedes Jahr erneut konsultieren, um herauszufinden, was die Stakeholder des FNG-Siegels über konkrete Ausschlusskriterien denken, und sind dann selbstverständlich auch bereit, Anpassungen vorzunehmen. Aktuell sind die Akteure, mit denen wir zu tun haben, umso froher, dass man mit dem Siegel schnell erkennen kann, dass ein zertifizierter Fonds weiterhin keine Waffeninvestments tätigt.
Die Bevölkerungsmehrheit unterstützt steigende Verteidigungsausgaben. Warum sollten Investoren die Verteidigung nicht mit der Anlage in einem solchen Fonds unterstützen?
Kölsch: Erstens gibt es gar keinen Finanzierungsengpass bei börsennotierten Rüstungsfirmen. Und finanziert wird mit Aktien- oder Anleihenfonds im Übrigen ja sowieso nichts. Die Wirkungskette am Sekundärmarkt ist nicht so simpel und schon gar nicht so direkt wie oft unterstellt wird. Das gilt für Ausschlüsse wie auch für Investitionen: Es wird kein Panzer mehr gebaut, nur weil man die Aktien eines Rüstungskonzerns kauft. Ausschlüsse sind eher "Wohlfühl"-Faktoren: Man möchte einfach mit bestimmten Dingen kein Geld verdienen.
Mit ihren Investitionen fördern Anleger also nicht die Verteidigungsfähigkeit?
Kölsch: Nein, ich fände es sogar irreführendes Marketing, wenn Vermögensmanager den Kunden suggerieren, dass sie damit nicht nur Gewinne machen, sondern auch die Verteidigungsfähigkeit nachhaltig unterstützen. Aktuell wirbt ein ETF-Anbieter damit, dass seine Waffen-ETFs eine Brücke zwischen öffentlicher und privater Finanzierung schlagen und damit eine Schlüsselrolle bei der Lenkung von dringend benötigtem Kapital in Europas Sicherheitsprioritäten spielen. Anlegenden böte er die Möglichkeit, die Widerstandsfähigkeit Europas zu unterstützen. Bei allem Respekt vor verkaufsfördernden Maßnahmen, aber hier werden Anlegende für dumm verkauft. Denn so etwas – dann auch noch von einem ETF-Anbieter, der in der Regel weniger Werkzeuge des nachhaltigen Baukastens als aktive Fonds nutzt – ist genau das Marketing, mit dem nicht wenige, neue Nachhaltigkeitsanbieter sich die Finger verbrannt haben und teils auch zu Recht abgemahnt wurden.
Vielen Dank für das Gespräch. (jh)