Die Europäische Union orientiert sich nach Ansicht von Österreichs Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) schrittweise auf die Aufnahme gemeinsamer Schulden zu, um Investitionen für stärkeres Wachstum zu finanzieren.

Vor einem Jahr hatte Italiens Ex-Ministerpräsident Mario Draghi vorgeschlagen, dass die 27 EU-Staaten dafür gemeinsam Kredite aufnehmen. Ziel sei es, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Doch das Vorhaben ist umstritten – vor allem in Deutschland gibt es Widerstand. Nun deutet aber auch Österreich, traditionell als fiskalpolitisch konservativer Staat bekannt, an, dass ein solcher Schritt Realität werden könnte.

"Schritt für Schritt gehen wir in diese Richtung"
"Es braucht viel Diskussion innerhalb von Ecofin und anderen Institutionen, aber Schritt für Schritt gehen wir in diese Richtung", sagte Marterbauer im Interview mit "Bloomberg Television" in Kopenhagen. "Als Ökonom denke ich, dass dies die richtige Richtung ist."

Die EU hatte erstmals während der Corona-Pandemie gemeinsame Schulden aufgenommen, um den Wiederaufbau zu finanzieren. Ein ähnliches Programm für Verteidigung und Klimaschutz könnte die Finanzkraft der Union bündeln und zugleich die Kosten senken.

Im Vorfeld des Treffens der EU-Finanzminister erklärte Marterbauer, man habe mit der Finanzierung der Corona-Bewältigung "nicht so schlechte Erfahrungen" gemacht.

EZB unterstützt gemeinsame Finanzierung
Auch die Europäische Zentralbank unterstützt eine Ausweitung der fiskalischen Möglichkeiten. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sprach sich bereits dafür aus. Ihr Stellvertreter Luis de Guindos sagte am Donnerstag (18.9.) bei einer MNI-Veranstaltung: "Eine Art gemeinsamer Finanzen, gemeinsame Finanzierung wäre wichtig" und "würde ein sehr klares Signal senden".

Österreichs Rolle im europäischen Kontext
Der Sozialdemokrat Marterbauer übernahm das Finanzministerium Anfang des Jahres im Rahmen einer Dreierkoalition, die die rechtspopulistische FPÖ auf Distanz hielt. Seine Hauptaufgabe ist es, das Budgetdefizit zu senken, ohne Österreichs Wirtschaft in ein drittes Rezessionsjahr zu stürzen.

Ein europäisches Modell für Zusammenarbeit?
Mit Blick auf die politischen Turbulenzen in Frankreich betonte der 60-Jährige, dass Österreich ein Beispiel für Zusammenarbeit trotz unterschiedlicher Programme sei. "Unsere Lösung ist, dass wir nicht in der Öffentlichkeit streiten, sondern hinter verschlossenen Türen Kompromisse finden und diese Kompromisse der Öffentlichkeit verkaufen", sagte er. "Vielleicht ist das auch die Lösung für viele andere Länder." (mb/Bloomberg)