Euroswitch: Lebt die Börse von Visionen oder von Illusionen?
Die Quartalszahlen legen schonungslos die vielen Verlierer der Pandemie offen. Trotzdem halten die Märkte die Visionen der Unternehmenslenker für glaubhafter als ernsthafte Prognosen, sagt Euroswitch-Experte Thomas Böckelmann.
Die Coronakrise hat Unternehmen rund um den Globus schwer getroffen. Das spiegelt auch die aktuelle Quartalsberichterstattung wieder. "Dabei werden schonungslos die wenigen Gewinner und vielen Verlierer der Pandemie offengelegt", sagt Thomas Böckelmann, Portfoliomanager bei Euroswitch. Allerdings seien es nicht allein die berichteten Zahlen der Unternehmen, die über die weitere Entwicklung bei Einzelwerten und Branchen entscheiden. "Vielmehr scheint die offenkundige Bereitschaft der Unternehmenslenker entscheidend für die Marktreaktion zu sein, im Rahmen der sich anschließenden Analystengespräche Zuversicht für den Rest des Jahres zu verbreiten."
Mit anderen Worten: Unternehmen, die laut Quartalsbericht die Erwartungen sogar übertroffen haben, strafen die Märkte ab, nur weil sie sich im Hinblick auf den weiteren Jahresverlauf unsicher gezeigt haben. Andere dagegen, die selbst niedrige Erwartungen enttäuschten, honorieren Anleger dafür, in ihren Erläuterungen zum Ergebnis an hoffnungsvollen Jahresendprognosen festzuhalten. "Offenbar scheinen einige Marktteilnehmer Visionen aktuell mehr wertzuschätzen als ernsthafte Prognosen", sagt der Anlageprofi.
Spannungsfeld bleibt erhalten
Das Prinzip Hoffnung zeigte sich auch auf dem Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel, wo die EU-Länder einstimmig den Grundstein zu einer gemeinsamen Schuldenaufnahme legten. Böckelmann hält den Schritt für sinnvoll, hätte sich aber bei aller Euphorie mehr Kontrollen und mehr greifbare Konzepte gewünscht. Er rechnet auch in den kommenden Wochen damit, dass sich das tägliche Spannungsfeld von Hoffnung und Visionen fortsetzt und die Volatilität an den Kapitalmärkten hoch bleibt. (fp)