Lagarde zum Anstieg des Euro: Vertrauenssignal und "Chance für Europa"
EZB-Chefin Christine Lagarde betrachtet den steigenden Euro als Folge von Trumps unberechenbarer Politik – und als Chance für Europa. Die politische Unsicherheit in den USA stärke die Position des Euro. Jetzt müsse die EU die wirtschaftliche Integration konsequent vorantreiben.
Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), sieht im jüngsten Anstieg des Euro gegenüber dem US-Dollar ein deutliches Zeichen: "Es ist beeindruckend, dass in einer Zeit der Unsicherheit, in der wir normalerweise eine deutliche Aufwertung des Dollars erwartet hätten, das Gegenteil eingetreten ist: Der Euro hat gegenüber dem Dollar an Wert gewonnen." Das sei zwar kontraintuitiv, aber angesichts der Unsicherheit und des Vertrauensverlusts in die US-Politik in bestimmten Segmenten der Finanzmärkte gerechtfertigt.
Lagarde betonte in einem Interview mit der französischen Zeitung "La Tribune Dimanche", dass Europa diese Entwicklung als "eine Chance" sehen müsse. Die Staats- und Regierungschefs sollten nun die Vertiefung der Europäischen Union (EU) beschleunigen. In den USA würden zunehmend Rechtsstaatlichkeit, Justizsystem und Handelsregeln infrage gestellt, so Lagarde. Europa dagegen werde als stabiler Wirtschaftsraum mit solider Währung und unabhängiger Zentralbank wahrgenommen.
Digitaler Euro und Kapitalmarktunion gewinnen an Dynamik
Die EZB-Chefin unterstrich außerdem die Bedeutung der Projekte digitaler Euro und gemeinsamer europäischer Kapitalmarkt. In beiden Bereichen erkenne sie eine Dynamik, "die stärker ist als alles, was ich in sechs Jahren im Amt erlebt habe". Auch die Harmonisierung der Finanzaufsicht sei notwendig – ähnlich wie es im Bankensektor gelungen sei.
Tatsächlich hat der US-Dollar im bisherigen Jahresverlauf gegenüber allen anderen von "Bloomberg" beobachteten großen Währungen an Wert verloren. Grund sei die wachsende Besorgnis über die politische Unberechenbarkeit in Washington, von plötzlichen Zolldrohungen bis hin zu Attacken auf die Unabhängigkeit der Federal Reserve (Fed).
Internationale Rolle des Euro weiter stärken
Auch andere EZB-Führungskräfte teilen Lagardes Perspektive. EZB-Vizepräsident Luis de Guindos sagte, der Euro könne zu einer echten Alternative zum Dollar als Reservewährung werden – sofern Europa seine Integrationsbemühungen verstärke. EZB-Direktorin Isabel Schnabel erklärte, die EU habe nun "eine historische Chance, die internationale Rolle des Euro weiter zu stärken".
Auf die Attacken Donald Trumps gegen die Fed angesprochen, warnte Lagarde:
"Die Unabhängigkeit der Zentralbank ist für die monetäre und finanzielle Hygiene innerhalb eines Landes oder einer Gruppe von Ländern von grundlegender Bedeutung." In allen Fällen, in denen eine Zentralbank politisch vereinnahmt wurde, habe dies schlecht geendet. Mit Blick auf die Konjunktur im Euroraum zeigte sich Lagarde optimistisch: "Die Beschäftigung hält sich, die Kaufkraft verbessert sich und die Inflation sinkt." Auch wenn Unsicherheiten durch politische Ankündigungen aus den USA das Vertrauen belasten, sollten Konsum und Investitionen bald wieder anziehen.
Zinsausblick: EZB könnte Leitzins weiter senken
Pierre Wunsch, belgisches Mitglied des EZB-Rats, sieht laut "Financial Times" Raum für weitere Lockerungen der Geldpolitik: "Die Schocks, mit denen wir konfrontiert sind, und die Unsicherheit über das Wachstum" könnten eine Senkung des EZB-Einlagensatzes auf etwas unter zwei Prozent rechtfertigen. (mb/Bloomberg)