"KI kann Mittelmaß. Im Investment möchten Sie aber kein Mittelmaß"
Erhard Radatz, Leiter des Portfoliomanagements von Invesco Quantitative Strategies, im Interview mit FONDS professionell ONLINE über die Frage, warum er sein Depot nicht von einer künstlichen Intelligenz steuern lassen würde – und was das mit Beethoven zu tun hat.
Die Theorien von Stephen Hawking faszinierten Erhard Radatz als Schüler so sehr, dass er sie bis ins Detail verstehen wollte. Deshalb entschied er sich, theoretische Physik zu studieren. Die Inhalte der Forschung an der Uni sagten ihm dann aber doch nicht so zu wie erhofft. Also schaute sich Radatz nach anderen Berufsfeldern um – und landete über ein Praktikum bei der DWS.
Nach gut sechs Jahren als Portfoliomanager bei der Tochtergesellschaft der Deutschen Bank wechselte Radatz 2017 zu Invesco. Seit 2024 ist er Global Head of Portfolio Management von Invesco Quantitative Strategies. Diese Sparte, die mit etwa 50 Teammitgliedern rund 28 Milliarden US-Dollar verwaltet, hat sich auf Faktorinvestments spezialisiert. In einem der Flaggschiffprodukte, dem gut eine Milliarde Dollar schweren Invesco QS ESG Global Equity Multi-Factor UCITS ETF, werden die Faktoren Bewertung (Value), Qualität (Quality) und Momentum berücksichtigt. FONDS professionell traf Radatz in der Kölner Redaktion zum Interview.
Herr Radatz, Ihr Team bietet streng systematisch gemanagte Fonds an. Manche Branchenbeobachter meinen, KI-gesteuerte Algorithmen wären gewissermaßen die nächste Evolutionsstufe des quantitativen Portfoliomanagements. Stimmen Sie zu?
Erhard Radatz: Nein, so einfach ist das nicht. Entgegen der landläufigen Meinung ist der Kapitalanlagemarkt nicht der beste, um KI einzusetzen. Das klingt erst einmal verwunderlich. Aber der entscheidende Punkt ist, dass es gar nicht so viele relevante Daten gibt, wie man zunächst glaubt.
Warum nicht? Die ganze Finanzwelt produziert doch unentwegt Daten.
Radatz: Nehmen wir die Fundamentaldaten eines börsennotierten Konzerns. Da bekommen Sie vier Mal im Jahr eine neue Bilanz. Einige der aktuell interessanten Unternehmen wurden erst vor zehn Jahren gegründet. Wenn Sie sich da den Umsatz anschauen, sprechen wir von 40 Datenpunkten. Für eine KI ist das nichts! Die braucht riesige Datenmengen, um ihren Vorteil ausspielen zu können – das zeigt sich an den Large Language Models, den großen Sprachmodellen, die seit der Veröffentlichung von ChatGPT die Schlagzeilen dominieren. Klar, die Finanzmärkte produzieren sekündlich enorme Mengen an Preisdaten. Wenn Sie Ihr Modell mit solchen Daten füttern, geht das in Richtung technische Analyse. Der Momentumfaktor deckt das teilweise ab. Aber das ist nie der einzige Faktor, der eine Aktie treibt. Und Bewertung und Qualität haben immer mit Bilanzzahlen zu tun. Hinzu kommt ein Aspekt, der bei der Datenverarbeitung sehr wichtig ist, das Signal-Rausch-Verhältnis.
Sie befürchten, dass die KI vor lauter Rauschen die relevanten Daten nicht findet?
Radatz: Ja. Sie können sich das Signal-Rausch-Verhältnis wie früher beim Röhrenradio vorstellen. Hinter dem Hügel mit dem Sendemast ist der Empfang sehr schlecht. Und mal ehrlich: Am Finanzmarkt kommen relativ wenige Takte Beethoven aus dem Radio, aber umso mehr Störgeräusche. Wenn Sie KI einsetzen, ist die Gefahr groß, dass das Modell vom Rauschen lernt. Sie wollen sich aber den Beethoven ins Portfolio holen, nicht das Rauschen. Wenn Sie lange genug suchen, finden sich an den Finanzmärkten faszinierende Zusammenhänge. Es gibt beispielsweise Zeiträume, in denen die Unternehmen besser performen, wenn der Nachname ihres Vorstandschefs mit M beginnt. Wir wissen, dass das Rauschen ist, die KI aber nicht. Wenn wir auf KI setzen, müssen wir ihr deshalb Ketten anlegen.
Also Finger weg von KI im Portfoliomanagement?
Radatz: Wir setzen entsprechende Modelle in eng abgegrenzten Bereichen ein. Ein Beispiel ist die Spracherkennung. Seit gut fünf Jahren nutzen wir Natural Language Processing, um Äußerungen von Topmanagern eines Unternehmens zu analysieren. Dabei geht es nicht darum, was der Vorstand sagt, sondern wie er es sagt. Das lässt sich dann mit früheren Statements vergleichen. Klingt er ähnlich überzeugt oder äußert er sich vorsichtiger als früher? Das kann ein relevantes Signal sein. Eine weitere Einsatzmöglichkeit wäre die Prognose von Handelskosten. Dort geht es um Unmengen von Kursdaten, da kann die KI eine echte Hilfe sein. Ein Portfolio würde ich mir von ihr aber nicht konstruieren lassen. Wenn ChatGPT Ihnen einen Text schreibt, ist der in der Regel zwar nicht schlecht, meist aber auch nicht richtig gut. Er ist…
… eher mittelmäßig.
Radatz: Genau. KI kann Mittelmaß. Im Investment möchten Sie aber kein Mittelmaß haben. Darum bin ich fest davon überzeugt, dass es kein KI-Modell gibt, das Sie nur mit allen Daten der Vergangenheit füttern müssen und das Ihnen dann das bestmögliche Portfolio auswirft. Das wird nicht funktionieren, auch in fünf Jahren nicht.
Vielen Dank für das Gespräch. (bm)
Ein ausführliches Interview mit Erhard Radatz lesen Sie in Ausgabe 1/2025 von FONDS professionell, die Ende März erscheint.