"Nachhaltigkeitspräferenz-Abfrage darf nicht zu aufwendig werden"
Antje Tillmann, die finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im Interview mit FONDS professionell ONLINE über Provisionsverbot und -deckel, die geplante Aktienrente und die künftige Pflicht, bei der Anlageberatung die ESG-Präferenzen der Kunden zu erheben.
Nachdem die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags mehr als ein Vierteljahr zurückliegt, hat FONDS professionell die finanzpolitischen Sprecher der im Bundestag vertretenen Parteien in Berlin besucht. Zwar treten Themen wie ein mögliches Provisionsverbot in Zeiten des Ukraine-Krieges in den Hintergrund, dennoch haben die Sprecher zu wichtigen Fragen der Finanzpolitik Stellung genommen. Heute bezieht die Finanzexpertin der CDU/CSU, Antje Tillmann, Position.
Frau Tillman, das Projekt, Finanzanlagenvermittler mit Erlaubnis nach Paragraf 34f Gewerbeordnung unter die Aufsicht der Bafin zu stellen, ist in der vergangenen Legislaturperiode nicht zustande gekommen. In den aktuellen Koalitionsvertrag hat es keinen Eingang gefunden. Wird das Vorhaben Ihrer Ansicht nach trotzdem noch einmal aufs Tapet kommen?
Antje Tillmann: Dass das Thema anders als vor vier Jahren keinen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat, zeigt, dass die SPD hinzugelernt hat. Offensichtlich haben die Argumente der Union gezogen. Der vom damaligen Bundesfinanzminister Olaf Scholz vorgelegte Lösungsweg über eine vollständige Verlagerung der Aufsicht auf die Bafin war nicht zu Ende gedacht. Die Behörde konnte während des parlamentarischen Verfahrens nicht plausibel darlegen, in welchem Umfang sich durch die Aufsichtsverlagerung die Kosten und auch die Kontrolle für die Vermittler erhöhen würden. Es bestand zudem das Risiko, dass sich der Vermittlermarkt durch das Gesetz deutlich reduzieren und den Verbrauchern gerade im ländlichen Raum so Angebotsvielfalt verlorengehen könnte. Im Sinne des Verbraucherschutzes hat unsere Fraktion dies daher abgelehnt. Wir halten eine Verlagerung auf die Bafin nicht für zielführend.
Auch ein Provisionsverbot in der Finanz- und Anlageberatung ist im neuen Koalitionsvertrag nicht vorgesehen, obwohl gerade Bündnis 90/Die Grünen es im November 2021 noch vehement gefordert hatten. Wie stehen Sie zu einem generellen Verbot der provisionsbasierten Beratung?
Tillmann: Verbraucher sollen bestmöglich beraten werden. Deshalb haben wir neben der provisionsgestützten Beratung auch das Honorarmodell etabliert. Nicht jeder Kunde kann oder will aber extra für die Beratung zahlen. Die weiterhin hohe Nachfrage in Deutschland nach provisionsgestützter Beratung macht es im Sinne des Verbraucherschutzes und in dem Bemühen, auch Kleinsparern lukrative Alternativen anbieten zu können, erforderlich, auch diese niedrigschwelligen Angebote weiterhin zu ermöglichen. Denn wir wollen vermeiden, dass die Menschen wieder zum unverzinsten Sparbuch zurückkehren oder andere Geldanlageformen gar nicht erst in Betracht ziehen. Deshalb bin ich für die Beibehaltung beider Möglichkeiten der Beratungsvergütung.
Vor allem die Grünen setzen sich für einen Provisionsdeckel in der Lebensversicherung ein. Wie stehen Sie dazu?
Tillmann: Bei der Restschuldversicherung haben wir den am Markt zum Teil deutlich überhöhten Kostengestaltungen in der vergangenen Legislaturperiode einen Riegel vorgeschoben und den Verbraucherschutz gestärkt. Bei den Lebensversicherungen sehen wir aber keine vergleichbar überzogenen Provisionen, die einen gesetzlichen Deckel erfordern würden. Erst wenn Provisionen ein unverhältnismäßiges Niveau annehmen und Verbraucher benachteiligt werden, ist es Aufgabe des Gesetzgebers, regulierend in den Markt einzugreifen. Wir werden die Provisionen weiter im Auge behalten.
Im Koalitionsvertrag ist die sogenannte "Aktienrente" verankert, deren Start allerdings verschoben wurde. In der gesetzlichen Rentenversicherung soll das Umlageverfahren durch eine Anlage am Kapitalmarkt erweitert werden. Wird sich auf diese Weise tatsächlich eine Rente ermöglichen lassen, die den Lebensstandard der Bürger sichert, oder ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
Tillmann: Der von der Ampel geplante Kapitalstock von zehn Milliarden Euro ist zumindest ein Anfang, wenn auch eine sehr kleine Summe. Es handelt sich dabei, wie von der FDP betont, aber auch nicht um eine einmalige Zuführung. Angesichts jährlicher Gesamtausgaben der Rentenversicherung von 342 Milliarden Euro wäre das ansonsten wirklich bloß ein Tropfen auf den heißen Stein. Es wird andererseits aber auch schwer werden, solche Summen tatsächlich jedes Jahr aufzubringen. Die Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023 wird eine Neuverschuldung von nicht viel mehr als sechs Milliarden Euro ermöglichen. Für eine weitere Zuführung wären also die Prioritäten im Bundeshaushalt zu überdenken. Wenn der Kapitalstock von einer neuen Behörde verwaltet werden soll, müssen wir auch auf die damit einhergehenden Bürokratiekosten achten. Wir werden das Projekt jedenfalls positiv begleiten.
Das System der privaten Altersvorsorge soll grundlegend reformiert werden. Dazu soll das Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit einer Opt-out-Möglichkeit für die Bürger geprüft werden. Was versprechen Sie sich von diesem Projekt?
Tillmann: Mehr private Vorsorge ist wichtig. Deshalb ist es auch richtig, dass der geplante Vorsorgebaustein für alle gilt, sofern nicht ausdrücklich vom Opt-out Gebrauch gemacht wird. Ob das neue System erfolgreich sein wird, wird die konkrete Umsetzung zeigen. Da die Fonds-Lösung für alle gelten würde, stellt sich die Frage, wer den Automatismus administrativ begleitet. Der bürokratische Aufwand dürfte bei den Arbeitgebern anfallen. Unklar ist bisher, wer die Anlageentscheidungen in welcher Form treffen soll. Unklar ist auch, ob sich die ausgewählten Vermögenswerte lediglich an der zu erzielenden Rendite oder auch an gewünschten Kriterien des Kunden orientieren sollen. Auch zu Beratung, Vertrieb und Förderung des Fonds gibt es bisher keine Informationen seitens der Bundesregierung. Hier bin ich sehr gespannt, was uns die Ampel vorlegen wird.
Ab dem 22. August 2022 sollen Anlageberater die Nachhaltigkeitspräferenzen Ihrer Kunden in der Geldanlage abfragen. Ist dies ein vernünftiges Projekt, das zu mehr Nachhaltigkeit führen wird?
Tillmann: Generell ist sicher zu begrüßen, dass der Anlagemarkt und insbesondere der Fondssektor zunehmend die Nachhaltigkeit im Fokus hat und dass die Bürger besser darüber informiert werden, in welche Geldanlagen sie investieren. Selbstverständlich müssen wir aber darauf achten, dass das Verfahren in der Umsetzung nicht zu bürokratisch wird. Denkbar wäre, eine obligatorische Abfrage nur bei Neuverträgen und ohnehin anstehenden Kundengesprächen zu fordern. Für übertrieben würde ich es halten, wenn Millionen von Kunden für eine Neubewertung Ihres Anlegerprofils persönlich in eine Filiale gebeten werden. Die Einführung neuer Risikoklassen durch Mifid II vor noch nicht allzu langer Zeit hat bereits zu erheblichem Aufwand für alle Beteiligten geführt.
Mit dem Regelwerk der Taxonomie legt die EU-Kommission Standards für ökologisches Wirtschaften fest. Atom- und Gasenergie werden in dem Klassifizierungssystem nun aber als nachhaltig eingestuft. Wie bewerten Sie diese Einstufung?
Tillmann: Genau genommen ist keiner der beiden Energieträger nachhaltig. Aber wer wie Deutschland gleichzeitig aus Atomkraft und Kohleenergie aussteigt, bei steigendem Energiebedarf aber einen stockenden Ausbau der Erneuerbaren verzeichnet, hat keine Wahl, als auf Gas als Brückentechnologie zu setzen. Investitionen in neue Kraftwerke werden allerdings nur dann als nachhaltig eingestuft, wenn alte, schmutzigere dadurch ersetzt werden und die neuen Kraftwerke ab 2035 mit klimaschonenderen Gasen wie Wasserstoff betrieben werden können. Ich glaube, wir sollten nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Unser Stromimportbedarf wird künftig eher noch steigen als sinken.
Und zum Schluss: Welche großen finanzpolitischen Pläne und Projekte verfolgt Ihre Partei in der laufenden Legislaturperiode?
Tillmann: Finanzpolitisch besonders herausfordernd wird die Frage sein, wie das Steuerrecht seinen Dienst für den Klimaschutz weiter leisten kann, ohne dass gleichzeitig angesichts explodierender Energiekosten und allgemeiner Inflationsraten die Menschen finanziell stranguliert werden. Neben der Komplettabschaffung der EEG-Umlage müssen hier schnellstens Maßnahmen her, die erstens verhindern, dass der Staat noch zusätzlich zum Kostentreiber wird, und zweitens muss er berufliche Kosten auch ausreichend anerkennen: Deshalb fordern wir die entsprechende Erhöhung der Entfernungspauschale. Zudem haben sich fast 140 Staaten auf eine globale Mindestbesteuerung und eine Reform des Orts der Besteuerung geeinigt. Die konkrete Umsetzung in den einzelnen Staaten, so auch hier in Deutschland, wird kein Selbstläufer. Diesen Kraftakt werden wir auch in der Opposition tatkräftig begleiten.
Vielen Dank für das Gespräch. (am)
Zu allen Fragen haben auch bereits Stellung genommen:
Michael Schrodi, SPD
Katharina Beck, Bündnis 90/Die Grünen
Markus Herbrand, FDP
Einen Bericht über die Standpunkte der Finanzexperten aller im Bundestag vertretenen Parteien zu aktuellen Fragen der Finanzpolitik, zu Altersvorsorge und Nachhaltigkeit finden Sie in der neuen Ausgabe 1/2022 von FONDS professionell, die Ende März erschienen ist. Angemeldete Nutzer können den Beitrag auch hier im E-Magazin lesen.