Betriebsschließungspolice: VKB muss Wirt eine Million Euro zahlen
Das Corona-Virus führte zu vielen behördlich angeordneten Betriebsschließungen. Die Versicherungskammer Bayern (VKB) wollte einem Wirt nur einen Teil der vereinbarten Leistung bezahlen. Der klagte und gewann jetzt vor dem Landgericht München I – zumindest vorerst.
Im Dauerstreit um das Thema "Betriebsschließungspolice" hat ein Kläger nun einen Etappensieg verbucht: Das Landgericht München I verurteilte die Versicherungskammer Bayern (VKB) am Donnerstag (1.10.) zur Zahlung von 1,014 Millionen Euro an einen Biergarten-Betreiber (Az.: 12 O 5895/20). Der Pächter des Münchener "Augustinerkellers" hatte sein Lokal im Frühjahr wochenlang wegen des behördlich verordneten Lockdowns schließen müssen, aber noch kurz vorher am 4. März eine Betriebsschließungspolice abgeschlossen, um sich gegen die finanziellen Folgen zu wappnen. Die VKB verweigerte allerdings die Begleichung des Einnahmeausfalls und berief sich auf ihre Versicherungsbedingungen, in denen der Covid-19-Erreger nicht explizit nicht genannt wird.
Das sah das Gericht anders: Die Versicherungskammer könne sich nicht darauf berufen, dass die Corona-Pandemie nicht mitversichert gewesen sei, zumal der Wirt den Vertrag über eine Betriebsschließungsversicherung (BSV) wenige Wochen vor den Zwangsschließungen abgeschlossen hatte, sagte Richterin Susanne Laufenberg Medienberichten zufolge. Die Versicherungsbedingungen (AVB) seien intransparent.
Das Urteil ist das erste in 86 Verfahren, die allein in München anhängig sind. Es geht um die Existenz von zahlreichen Betrieben in Gastronomie, Handel und Hotellerie, deren Versicherer – darunter oft der Marktführer Allianz – den vereinbarten Versicherungsschutz bei einer Betriebsschließung nicht für den Fall von Pandemien angewendet wissen wollten.
AVB intransparent und damit unwirksam
In den AVB der VKB sei zwar eine Liste der erfassten Krankheiten enthalten, diese sei aber unvollständig. Das zugrundeliegende Infektionsschutzgesetz (IfSG) sei in den vergangenen 20 Jahren mehrfach geändert und neue Krankheiten sowie Erreger hinzugefügt worden. Dem Wirt sei es nicht zuzumuten, die Liste in den AVB mit jener des IfSG zu vergleichen, um herauszufinden, welche Krankheiten vom Schutz umfasst sind und welche womöglich nicht.
Die VKB hatte wie andere Versicherer auch in den Schadenersatzverhandlungen mit ihren Kunden versucht, Kurzarbeitergeld oder die staatlichen Corona-Hilfen auf den Schaden über die sogenannte Bayerische Lösung anzurechnen (FONDS professionell ONLINE berichtete). Damit hätte der Wirt nur 15 Prozent des Schadens (im konkreten Fall 152.100 Euro) erhalten. Auch dem widerspricht das Urteil: "Hierbei handelt es sich nicht um Schadenersatzzahlungen bei Betriebsschließungen", so das Landgericht in einer Meldung.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Wie von der VKB zu hören ist, werde man das Urteil genau prüfen und die Möglichkeiten der Berufung in Betracht ziehen. In einer Entscheidung des Landgerichts Kempten (Allgäu) seien, bezogen auf die Versicherungsbedingungen VKB, Ansprüche aus der BSV verneint worden, lässt sich der Versicherer zitieren. Tatsächlich hatte das LG jedoch gar nicht über die AVB entschieden, sondern lediglich einen Beschluss zur Gewährung von Prozesskostenhilfe gefasst.
Zwei Hauptstreitpunkte, aber eine verräterische Vertriebs-Info
Dennoch scheint der Versicherer schlechte Karten zu haben. Zwei Streitpunkte ragen dabei heraus (auch bei anderen Gesellschaften):
- In den meisten Fällen ist vereinbart, dass die zuständige Behörde den Betrieb geschlossen haben muss, damit der Versicherer zahlt. In den meisten AVB steht nicht, dass die behördliche Anordnung sich unmittelbar an das betroffene Unternehmen richten muss.
- In den AVB wird Covid-19 als ganz neue Erkrankung nicht aufgelistet. Einige Versicherer nehmen das zum Anlass, die Deckung abzulehnen. Doch die Bedingungen nehmen zumeist und gleich an mehreren Stellen Bezug auf das IfSG und bringen so zum Ausdruck, dass die dort aufgelisteten Krankheiten maßgeblich sind.
Die Versicherungskammer Bayern, einer der Initiatoren des bayerischen Kompromisses, hatte in einer Vertriebsinformation Gewerbe vom 4. März 2020, noch beschwichtigt: "Wir stellen das Coronavirus den in unseren Bedingungen für die gewerbliche Betriebsschließungsversicherung (AVB BS 2002 -Teil B Nr. 2 Anlage 075) namentlich genannten Krankheitserregern gleich... Somit sind behördlich angeordnete Betriebsschließungen aufgrund des neuartigen Coronavirus in unserer gewerblichen Betriebsschließungsversicherung mitversichert."
Urteil mit Signalwirkung?
Nach dieser Logik müsste die VKB eigentlich zu 100 Prozent zahlen, selbst wenn es in den AVB vielleicht anders formuliert sein sollte. Die VKB sah dies auf Nachfrage von FONDS professionell ONLINE seinerzeit anders. Tatsächlich steht in den AVB jedoch an keiner Stelle, dass im konkreten Betrieb meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger aufgetreten sein müssen.
"Nun liegt eine klare Entscheidung zugunsten des betroffenen Hotel- und Gastronomiegewerbes vor", sagt Fachanwalt Norman Wirth, Inhaber der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte. Die eindeutigen Worte des Gerichts zu den Argumenten einiger Versicherer zeigten, was die Kanzlei bereits seit Beginn der Debatte gesagt hatte: In den allermeisten Fällen bestehe bedingungsgemäß Versicherungsschutz. "Wir gehen davon aus, dass sich die Rechtsprechung auf Grundlage dieses Urteils festigen wird", so Wirth weiter. (dpo)