Lesen bildet bekanntlich – auch bei der Geldanlage. Dicke Broschüren mit seitenlangen Risikohinweisen und Vertragsanhängen verdienen zwar selten einen Literaturpreis, sind aber unabdingbarer Bestandteil eines Investments. Doch Prospekte für Kapitalanlagen werden von den Interessenten nur selten eingehend studiert, weil sie, wie der Bundesgerichtshof (BGH) feststellt, eine "möglicherweise zeitraubende Lektüre" sein können, die "unter Umständen schwer verständlich" ist.

Eigentlich will der Gesetzgeber Anlagekunden mit der umfangreichen Informationsunterlage helfen, praktisch sind die Prospekte aber so umfangreich und wimmeln, weil oft von Juristen geschrieben, nur so von Fachchinesisch. Aus diesem Grund haben viele Anleger geschlossener Fonds die Prospekte erst gar nicht in Empfang genommen, geschweige denn gelesen, wie sich nun herausstellt – was Berater leicht in die Bredouille bringen kann.

In einem konkreten Fall hatte ein Anleger, der wohl mehrere Zehntausend Euro in Schiffsfonds gesteckt hatte, den Emissionsprospekt als "Papierkram" abgetan. Er ließ ihn sich von seinem Berater gar nicht erst aushändigen, weil er "zu dick und zu schwer" gewesen sei. Trotzdem klagte der Investor gegen seinen Berater, nachdem sich die Beteiligungen nicht erwartungsgemäß entwickelten. Der Kunde behauptet, nicht über die Risiken und die Kosten aufgeklärt worden zu sein. Beides war allerdings den Prospekten zu entnehmen.

Beraterpflicht geht übers Aushändigen der Prospekte hinaus
Der BGH entschied, dass die Weigerung des Anlegers, den Prospekt entgegenzunehmen und zu lesen, den Berater nicht von seinen Aufklärungspflichten befreit. "Die persönliche Aufklärungspflicht des Beraters entfällt erst dann, wenn er davon ausgehen darf, dass der Kunde den Prospekt gelesen und verstanden hat und gegebenenfalls von sich aus Nachfragen stellt", heißt es in dem Urteil (Az. III ZR 498/16). Da sich der Investor einem Beratungsgspräch nicht generell verschlossen habe, hätte der Berater nicht ohne konkrete Anhaltspunkte davon ausgehen dürfen, dass eine Aufklärung über die wesentlichen Risiken unerwünscht sei, so die Richter des III. Zivilsenats.

Das Ausbleiben der persönlichen Aufklärung ist nach aktueller Rechtsprechung allenfalls möglich, wenn der Berater ausdrücklich darauf hinweist, dass in dem Prospekt wichtige Informationen enthalten sind, die er nicht oder nicht vollumfänglich persönlich darstellen kann oder will. Sollte der Kunde gleichwohl auf eine Lektüre des Prospekts verzichten und trotzdem investieren, spielt das dann keine Rolle mehr.

Berater müssen minutiös aufklären
Der BGH hat das Verfahren an das OLG Celle zurückverwiesen, weil es in den strittigen Fragen teilweise keine ausreichende Beweisführung vorgenommen hat. "Inhaltlich ist aber schon jetzt klar, dass ein Berater oder Vermittler niemals auf eine Provisionsaufklärung verzichten und der Anleger auf die Folgen der fehlenden Aufklärung hingewiesen werden sollte. Im Mifid-II-Regime gilt das aber ohnehin immer", erklärt Rechtsanwalt Heinz-Gerd Pinkernell, Partner in der Kanzlei LPA-GGV. Er warnt Finanzdienstleister davor, sich vom Kunden mit einer Standardklausel die einfache Kenntnisnahme der Informationen bestätigen zu lassen. "Der BGH hat vor kurzem entschieden, dass das nicht genügt und es auf die tatsächlichen Umstände ankommt", so Pinkernell. (ae)