BGH: Pflegerenten-Altverträge nicht eins zu eins übertragbar
Nach der Pflegereform 2017 haben einige Anbieter von Pflegerenten ihre Tarife nicht von den bis dato geltenden drei Pflegestufen auf die nun geltenden fünf Pflegegrade geändert. Das führt zu Problemen im Leistungsfall. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun einen Ausweg aufgezeigt.
Seit dem 1. Januar 2017 ersetzt ein Modell mit fünf Pflegegraden das bis dahin geltende System der drei Pflegestufen. In vielen älteren privaten Pflegerenten-Tarifen der Lebensversicherer wird jedoch immer noch ausdrücklich auf Pflegestufen verwiesen – ohne eine entsprechende Anpassung in den Altverträgen. Im Streit um einen Leistungsfall versuchte das Oberlandesgericht Naumburg mit Urteil vom 9. Mai 2023, diese Lücke durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Das OLG stellte fest, dass eine Pflegerente bei Einstufung mindestens in den Pflegegrad 2 (nach Paragraf 15 Absatz 3 Satz 4 Nr. 2 SGB XI) zu zahlen sei (Az.: 1 U 91/22).
Der Versicherer akzeptierte dies nicht und ging in Revision – mit Erfolg. Der BGH kassierte diese ergänzende Vertragsauslegung bei Pflegerenten-Versicherungen infolge der Pflegereform 2017 (Zweites Pflegestärkungsgesetz) zugunsten einer Versicherten mit Urteil vom 30. April 2025. Es könne keine automatische Gleichsetzung von Pflegegrad 2 mit Pflegestufen geben (Az.: IV ZR 126/23; externer Link).
Ergänzende Vertragsauslegung wider Mehrleistung
Begründung: Eine ergänzende Vertragsauslegung darf nicht zu einer Erweiterung des Leistungsversprechens führen. Die Pflegegrade 2 oder höher beinhalten nach dem neuen Recht Kriterien (etwa kognitive Einschränkungen), die zuvor nur über Umwege berücksichtigt wurden. Somit sei nicht auszuschließen, dass die neue Definition mehr Leistungsfälle umfasst als ursprünglich kalkuliert.
Zugleich bestätigte der BGH, dass das Wegfallen der Pflegestufen zu einer planwidrigen Regelungslücke in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) führt, da dort in älteren Verträgen immer noch von Pflegestufen die Rede ist. Wie mit solchen Altverträgen rechtlich umzugehen ist, deuten die Richter im Urteil an: Eine systematische Anpassung müsse nachvollziehbar kalkuliert sein, eine Anpassung des Vertrags sei nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (Paragraf 313 BGB) denkbar. Allerdings unter klaren Voraussetzungen:
- Wesentliche Veränderung der Geschäftsgrundlage (hier: gesetzliche Umstellung)
- Unzumutbarkeit des Festhaltens an der alten Regelung für den Versicherungsnehmer
- Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Vertragsfreiheit des Versicherers
Prämienanpassung oder Neubegutachtung?
Zunächst muss das OLG Naumburg aber prüfen, ob eine Vertragsanpassung angemessen wäre, die durch ein Sachverständigen-Gutachten nachzuweisen ist. Demnach käme eigentlich nur eine Neubegutachtung in Frage. Der BGH gibt sich hier salomonisch: "Ergibt die vorzunehmende Aufklärung des Sachverhalts, dass die Anknüpfung des Versicherungsfalls an die Einstufung in einen Pflegegrad nach dem deutschen Sozialgesetzbuch eine Prämienanpassung zulässt, kann das Interesse des Versicherungsnehmers, im Rahmen der Leistungsprüfung von einer Begutachtung verschont zu bleiben, hinter sein Interesse an einer Vermeidung steigender Prämien zurücktreten. Das wird das Berufungsgericht zu prüfen haben."
Die Versicherte war an Krebs erkrankt und 2019 in Pflegegrad 2 eingestuft worden, was der Medizinische Dienst automatisch in die alte Pflegestufe 1 umgerechnet hatte. Da hätte der Versicherer zahlen müssen, wies dies jedoch zurück, weil die im Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes zur Bestimmung des Pflegegrades ermittelten Punkte anhand der Vorgaben des früheren Rechts lediglich zu einer Einordnung in die ehemalige Pflegestufe 0 geführt hätten. Dann sei keine Pflegerente zu zahlen.
Kürzlich hatte eine Marktanalyse der Rating-Agentur Assekurata Pflegezusatzpolicen untersucht. Pflegerenten der Lebensversicherer, die mit 243.000 Policen den kleinsten Bestand unter den 5,4 Millionen Pflegezusatzpolicen aufweisen, waren nicht Gegenstand der Studie. Die Auswahl an Pflegerenten-Tarifen schrumpft seit Jahren. (dpo)