Jurist: BGH pfeift Anlegeranwälte zurück
Der Bundesgerichtshof hat die Methoden einiger Anlegeranwälte geprüft und beanstandet. Kunden können sich unter Berufung auf die Regeln im Fernabsatz gegen standardisierte, mittels Briefen versandte Vollmachten und unzulässige Honorare wehren.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 23. November 2017 ein wichtiges Urteil gefällt (Az. IX ZR 204/16), das die Praktiken einiger Anlegeranwälte für die Werbung von Kunden mittels Briefen und anderer "Fernkommunikationsmittel" unterbindet. Darauf macht Rechtsanwalt Oliver Renner von der Stuttgarter Kanzlei Rechtsanwälte Wüterich Breucker aufmerksam.
Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Anleger hatte sich an einem – mutmaßlich geschlossenen – Fondsinvestment beteiligt. Offenbar, so muss man den Fall verstehen, hatte der Fonds Verluste erwirtschaftet. Im Januar 2014 wurde der Anleger unverlangt von einer "Gesellschaft" angeschrieben und darin ermuntert, einen ausgefüllten Fragebogen nebst beigefügter Anwaltsvollmacht zurückzusenden. Dadurch sollte der Anleger einer Kanzlei die Vollmacht für eine außergerichtliche Vertretung gegen den Fondsanbieter geben. Laut dem BGH hatte die Kanzlei wiederum dieser Gesellschaft Blankoformulare für eine Vielzahl zu werbender Mandanten zur Verfügung gestellt.
Kunde verweigert Gerichtsvollmacht
Der verunsiccherte Anleger tat, wie ihm geheißen, unterzeichnete die außergerichtliche Vollmacht und sandte sie zusammen mit den anderen von ihm vervollständigten Unterlagen an die Gesellschaft zurück. Diese übermittelte die Unterlagen an die Anwaltskanzlei, die dann – ohne eigene Kontaktaufnahme mit dem Anleger – mittels eines Serienbriefes dessen Ansprüche gegenüber dem Fondsmanager geltend machte.
Nachdem die außergerichtliche Beilegung des Zwists erfolglos geblieben war, forderte die Anwaltskanzlei den Anleger nun direkt auf, eine weitere Vollmacht auf sie auszustellen, die auch die Prozessvertretung vorsah. Dies lehnte der Anleger jedoch ab, woraufhin ihm die Kanzlei ihr außergerichtliches Tätigwerden in Rechnung stellte. Der Anleger wies die Forderung zurück, wobei er zugleich erklärte, vorsorglich und mit sofortiger Wirkung die über die Dritt-Gesellschaft erteilten Vollmachten zu widerrufen.
Die Anwaltskanzlei verklagte daraufhin den Anleger auf Zahlung des Honorars. Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Anwaltskanzlei ihr Klageziel vor dem Bundesgerichtshof weiter.
Die Entscheidung: Widerrufsrecht besteht
Der BGH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Der Anleger muss keine Zahlung an die Anwaltskanzlei leisten, wie Anwalt Renner ausführt.
Das oberste deutsche Gericht hebt dem Juristen zufolge in seiner Begründung zunächst hervor, dass Anwaltsverträge grundsätzlich auch den Regeln für den Fernabsatz unterliegen können: "Schließlich würde eine allgemeine Unanwendbarkeit des Fernabsatzrechts auf Anwaltsverträge der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Die Existenz und Zulässigkeit sogenannter 'Anwalts- oder Steuerberater-Hotlines' (…), von 'Telekanzleien', oder die Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen über das Internet belegen, dass sich auch Rechtsanwälte für abzuschließende Beratungsverträge moderner Vertriebsformen unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln bedienen. Der Schutz der Verbraucher gebietet es, die Normen des Fernabsatzrechts insbesondere in diesen Fällen auch auf Anwaltsverträge zu erstrecken", so der Bundesgerichtshof.
Nach eingehender Betrachtung kommen die Richter zu dem Schluss, dass hier ein solcher Fernabsatz vorliegt – somit hatte der Anleger das Recht, die Vollmacht gemäß dem bis Juni 2014 geltenden Paragraf 312 Bürgerliches Gesetzbuch (alte Fassung) zu widerrufen.
"Organisiertes Verrtriebssystem"
Eine weitere Voraussetzung für das Bestehen des Widerrufsrechtes sei, dass der Vertragsschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems erfolgte. Das hat der BGH laut Renner letztlich auch bejaht.
"Für das Vorliegen eines organisierten Vertriebssystems spricht hier auch die Art der Kontaktaufnahme durch die Gesellschaft sowie der Umstand, dass es sich bei dem von der Klägerin angestrebten Mandatsvertrag um ein von der Klägerin mit standardisierten Schreiben abgewickeltes, überregionales Massengeschäft handelte, das auf Fernkommunikation ohne persönliche Kontaktaufnahme ausgerichtet war", schreibt das Gericht. Anleger, die derart von "Anlegerschutzkanzleien" geworben wurden, können also gegebenenfalls den Anwaltsvertrag widerrufen und die Zahlung des Honorars verweigern oder zurückverlangen.
Die schärfsten Kritiker der Elche...
Pikant an der Entscheidung ist Renner zufolge, dass Anlegerschutzkanzleien den in Anspruch genommenen Beratern oder Vermittlern häufig vorwerfen, sie seien Teil eines Strukturvertriebs. Bei der Werbung um Mandanten bedienen sie sich laut Entscheidung des Bundesgerichtshofs aber oft selbst strukturvertriebsähnlicher Methoden.
Zudem hat der Bundesgerichtshof erkannt, dass es sich um ein "mit standardisierten Schreiben abgewickeltes, überregionales Massengeschäft" handelt. Damit, so Renner, werde der Anlegerschutz pervertiert. (jb)