"Keine weitere Stärkung der Honorarberatung geplant"
Mifid II, 34f-Vermittler unter Bafin-Aufsicht und die Zukunft der Lebensversicherer: Ein halbes Jahr nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags klopft FONDS professionell ONLINE die Positionen der Bundestagsparteien ab. Heute bezieht Antje Tillmann, CDU/CSU, im Interview Stellung.
Nachdem die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags mehr als sechs Monate zurückliegt, hat FONDS professionell die Finanzexperten aller im Deutschen Bundestag vertretenden Parteien in Berlin besucht. Sie haben sich Zeit genommen und auf viele Fragen der Finanzmarktregulierung, Finanzpolitik und der Altersvorsorge geantwortet. Im Interview bezieht Antje Tillmann, finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU, Position. Auch Lothar Binding, SPD, Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen, und Florian Toncar, FDP, stehen Rede und Antwort.
Frau Tillmann, die EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II ist seit Jahresbeginn in Kraft. Wie bewerten Sie den Start und die ersten Monate?
Antje Tillmann: Nach noch nicht einmal einem Dreivierteljahr kann allenfalls ein Zwischenfazit gezogen werden. Dieses fällt positiv aus. Der Anlegerschutz ist gestärkt und die Transparenz erhöht worden. Sicherlich gab es zu Beginn einige Anlaufschwierigkeiten, so zum Beispiel die Frage der Kosteninformation bei telefonischer Beratung. Das von einigen befürchtete Chaos ist aber nicht eingetreten.
Manche Marktteilnehmer sind der Ansicht, dass der Gesetzgeber an einigen Punkten über das Ziel hinausgeschossen ist. Gibt es Überlegungen, die Vorschriften an verschiedenen Stellen etwas zu lockern?
Tillmann: Kritisiert werden insbesondere Informationspflichten verschiedenster Art. Gefordert wird in diesem Zusammenhang häufig eine Verzichtsmöglichkeit für den Anleger. Dies wurde im Interesse des Anlegerschutzes bei der Beratung zu Mifid II und Mifir sowie bei der Umsetzung auf europäischer und nationaler Ebene jedoch abgelehnt. Wir werden die Auswirkungen von Mifid II und die weitere Entwicklung intensiv beobachten.
Durch Mifid II haben sich die Honorar- und Provisionsberatung hinsichtlich der Kostentransparenz weitgehend angeglichen. Ist also eine Trennung überhaupt noch notwendig?
Tillmann: Transparenz der Kosten ist der stärkste Anlegerschutz. Der Kunde soll erkennen können, welche Kosten – auch für den Vertrieb – mit einem Produkt verbunden sind. Er kann und soll dadurch selbst entscheiden, welche Art der Beratung er in Anspruch nehmen möchte. Beide Formen haben Vor- und Nachteile und somit auch ihre Berechtigung. Eine Trennung bleibt wichtig, um den Kunden zu schützen. Zurzeit planen wir keine Veränderungen, auch keine weitere Stärkung der Honorarberatung. Die Voraussetzungen für diese sind gut.
Der Plan der Bundesregierung, Finanzanlagenvermittler unter die Aufsicht der Bafin zu stellen, hat im Frühjahr für Aufregung in der Branche gesorgt. Wie ist der aktuelle Stand?
Tillmann: Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, die Aufsicht über die freien Finanzanlagevermittler schrittweise auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zu übertragen. Dafür müssen erst die Voraussetzungen geschaffen werden. Wann und wie eine Umsetzung erfolgen kann, wird derzeit geprüft.
In der Vergangenheit sind der Finanzmarkt und die Beratung über Finanzprodukte mehrfach reguliert worden. Gibt es Pläne, die geltenden Vorschriften auf mögliche Überschneidungen hin zu überprüfen?
Tilmann: Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, uns für eine zielgenaue, wirksame und angemessene Finanzmarktregulierung einzusetzen und daher die Wechselwirkungen der nach der Finanzmarktkrise beschlossenen Regulierungsmaßnahmen zu untersuchen. Das Bundesministerium der Finanzen hat dazu bereits ein Gutachten in Auftrag gegeben.
Kommen wir zu den Lebensversicherern zu, die bekanntlich mit dem dauerhaften Niedrigzinsniveau enorm zu kämpfen haben: Reicht das bestehende Instrumentarium noch aus, um zu verhindern, dass Unternehmen in eine extreme Schieflage oder gar in die Insolvenz geraten? Oder benötigen wir zusätzliche Rettungspläne oder – töpfe?
Tillmann: Mit Hilfe der Maßnahmen des Lebensversicherungsreformgesetzes, kurz LVRG, haben wir eine Stabilisierung der Lebensversicherung erreicht. Versicherer müssen strenge Vorgaben an die Solvabilität erfüllen und eine Zinszusatzreserve aufbauen. Die Aufsicht prüft die Einhaltung der bestehenden Regeln genau. Sollte es dennoch zu einer Schieflage kommen, besteht zum Schutz der Versicherten der Sicherungsfonds. Vorschläge zur Präzisierung der gesetzlichen Vorschriften hat das Bundesministerium der Finanzen im Evaluationsbericht zum LVRG angekündigt. In diesem Zusammenhang ist es auch gut und richtig, dass die EZB in Aussicht gestellt hat, ihr Anleihekaufprogramm auslaufen zu lassen. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass die Zinsen mittelfristig wieder steigen werden.
Wie bewerten Sie die Einführung einer digitalen säulenübergreifenden Rentenübersicht, und wann ist mit der Umsetzung dieses Projektes zu rechnen?
Tillmann: Im Koalitionsvertrag haben wir die Einführung einer säulenübergreifenden Renteninformation festgeschrieben, mit der Bürger Informationen aus allen drei Säulen über ihre individuelle Absicherung im Alter erhalten. Sie sollen sie möglichen Handlungsbedarf für weitere Vorsorge erkennen können. Die Umsetzung ist nicht einfach. Neben vielen technischen Fragen sind insbesondere auch Anforderungen des Datenschutzes zu beachten. Ich würde mich freuen, wenn wir hier schnell zu guten Lösungen kommen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Private Anbieter arbeiten bereits ebenso an möglichen Modellen wie die Deutsche Rentenversicherung. Insgesamt wird zu prüfen sein, welche Rolle der Staat einnehmen soll, ob er als Betreiber auftreten oder nur den Rechtsrahmen setzen wird. Ebenso ungeklärt ist bisher, welche Informationen und Produkte in der Übersicht enthalten sein sollen, wie eine Vergleichbarkeit hergestellt und die Inflation berücksichtigt werden kann.
Schauen wir über die bundesdeutschen Grenzen hinaus und blicken nach Europa. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Euro der nächsten Krise entgegensteuert?
Tillmann: Es gab nie eine Eurokrise, sondern vielmehr eine Staatsschuldenkrise. Im Durchschnitt sind die europäischen Staaten auf einem guten Weg. Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit geht zurück. Und auch die öffentlichen Finanzen stabilisieren sich. Trotzdem machen uns einige Mitgliedstaaten noch Sorgen.
Sprechen Sie Italien an?
Tillmann: Die italienische Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Zwar ist die Wirtschaft im vergangenen Jahr so stark gewachsen wie seit der Finanzkrise nicht, die Arbeitslosigkeit ist leicht zurückgegangen. Allerdings ist diese gerade unter jungen Menschen immer noch viel zu hoch, das Wirtschaftswachstum geringer als in vielen anderen europäischen Staaten. Die regionalen Unterschiede sind erheblich und die Risiken im Bankensektor nicht in ausreichendem Umfang abgebaut. Von der neuen italienischen Regierung erwarte ich, dass sie Strukturreformen zur Stärkung des Wirtschaftswachstums entschlossen umsetzt und sich an die gemeinsam vereinbarten europäischen Regeln hält.
Und was sind Ihre wichtigsten Ziele und Projekte für die laufende Legislaturperiode?
Tillmann: Mit Blick auf die Finanzmarktpolitik sehe ich zwei wichtige Aufgaben: Zum einen die bereits angesprochene Überprüfung der in den vergangenen Jahren verabschiedeten Regulierungsmaßnahmen. Dabei wollen wir besonders auf die Einhaltung des Proportionalitätsprinzips achten. Zum anderen stellt uns der bevorstehende Brexit gerade auch im Bereich der Finanzmärkte vor Herausforderungen. Andererseits bietet er aber auch Chancen für den Finanzstandort Deutschland. Daneben ist finanzpolitisch die Einhaltung der Schuldenbremse durch die Länder ab 2020 von großer Bedeutung.
Vielen Dank für das Gespräch. (am)