PKV-Krankentagegeld: Einseitige Herabsetzung nicht erlaubt
Kann ein privater Krankenversicherer einfach die Tagessätze im Bestand von Krankentagegeld-Policen bei gesunkenem Nettoeinkommen des Kunden herabsetzen? Nein, sagt der BGH und macht damit erneut ein Fass auf im komplexen Streit um die Wirksamkeit von Klauseln zur Tagegeld-Anpassung.
Das privat abgesicherte Krankentagegeld (KTG) gilt bei gutverdienenden Angestellten, Selbstständigen, Freiberuflern und natürlich PKV-Vollversicherten als wichtige Absicherungskomponente im Falle längerer Krankheit. Doch drohen unerwartete finanzielle Einbußen, wenn man innerhalb der vergangenen zwölf Monate schon einmal KTG bekommen hat. Nach den Vertragsbedingungen der privaten KTG ist marktweit maximal das in den letzten zwölf Monaten aus der beruflichen Tätigkeit herrührende Nettoeinkommen versicherbar.
"Was konkret dazu zählt, ist jedoch nicht näher definiert", kritisierte schon vor einiger Zeit Claus-Dieter Gorr, geschäftsführender Gesellschafter von Premium Circle Deutschland, ein Beratungsunternehmen für die Gesundheits- und Versicherungswirtschaft, das auch über ein weit verzweigtes Maklernetzwerk verfügt. Einen Schritt näher zu einer klareren Definition könnte ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 12. März 2025 führen, dessen Begründung allerdings noch nicht vorliegt (Az.: IV ZR 32/24; externer Link).
Weiteres Stopp-Zeichen für Willkür von KTG-Versicherern
Ein KTG-Kunde unterhält eine Police, bei der sein Versicherer sich auf die allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) von 2009 berief, die eine identische Bestimmung wie die damaligen Musterbedingungen des PKV-Verbandes enthielten und es erlaubten, das KTG bei gesunkenem Nettoeinkommen herabzusetzen (nach Paragraf 4 Absatz 4 der PKV-Musterbedingungen). Eine solche Klausel hatte der BGH aber bereits mit Urteil vom 6. Juli 2016 wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot für unwirksam erklärt (Az.: IV ZR 44/15).
Trotz umfangreicher Neuformulierung des Paragrafen durch den PKV-Verband, den die meisten Versicherer anwenden, "ergeben sich bis heute erhebliche interpretationsfähige Formulierungen zu Lasten der Versicherten", sagte Gorr. Dies zeigt sich auch im aktuellen BGH-Fall. Der KTG-Kunde bekam nämlich von seinem Versicherer 2018 geänderte AVB, in denen die Möglichkeit, den Tagessatz bei gesunkenem Nettoeinkommen herabzusetzen, neu geregelt wurde.
Neue Einzelfallentscheidung mit Breitenwirkung?
Diese Neuregelung, wonach bei Bestandsverträgen nachträglich die alte Klausel durch eine andere ersetzt werden darf, hält der Kunde für unwirksam und klagte sich durch die Instanzen. Er besteht darauf, dass seine KTG-Versicherung mit dem ursprünglich vereinbarten Tagessatz fortbesteht und der Versicherer nicht einseitig das Tagegeld kürzen darf. Zudem verlangt er den Differenzbetrag der Zahlungen in einem Krankheitsfall wegen der vollzogenen Herabsetzung. Das Landgericht Köln gab ihm weitgehend recht, während das OLG Köln seine Klage abwies.
Vor dem BGH bekam er nun endgültig recht. Demnach kommt es nicht für den Versicherer in Betracht, einfach eine bereits 2016 für unwirksam erklärte Regelung zu ersetzen. Kurz gefasste Begründung: Weil es nicht notwendig ist, die Klausel im Sinne der vorgenannten Regelung zu ersetzen. Für den Versicherer stelle es keine unzumutbare Härte dar, an einem Vertrag festzuhalten, der durch die Unwirksamkeit der Klausel lückenhaft geworden ist.
Etwas akademische Begründung
Hintergrund: Die Ersetzung einer unwirksamen Regelung in den AVB kann laut BGH nur dann zur Fortführung des Vertrages notwendig sein, wenn infolge der Unwirksamkeit mindestens die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung gegeben sind. Eine solche ergänzende Vertragsauslegung in vorformulierten Versicherungsverträgen setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, "dass keine dispositiven Gesetzesbestimmungen zur Füllung der entstandenen Lücke zur Verfügung stehen" und es dem Versicherer ohne ergänzende Vertragsauslegung unzumutbar ist, an dem lückenhaften Vertrag festzuhalten (nach Paragraf 164 VVG). "Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt", betonen die Richter.
Zwar kann es in den Fällen eines dauerhaften Absinkens des Nettoeinkommens unter den versicherten Tagessatz zu einer Erhöhung des subjektiven Risikos für den Versicherer kommen, gesteht der BGH zu. Dies aber stelle für den KTG-Versicherer keine unzumutbare Härte dar. Der KTG als Summenversicherung sei es immanent, dass die Leistung vom versicherten Risiko abweichen und deshalb höher, aber auch niedriger als der tatsächliche Durchschnittsverdienst des Kunden ausfallen kann.
Folgen für die Vertriebspraxis
Was bedeutet das Urteil nun für den Kunden und die weitere Praxis? Offensichtlich behält der Kunde seinen bisherigen Schutz vollständig und der Versicherer kann nicht einfach bei längerer Krankheit das vereinbarte KTG absenken. Allerdings gesteht der BGH dem Versicherer zu: "Sollte sich der Wegfall der Herabsetzungsmöglichkeit auf die Prämienkalkulation auswirken, kann er auf der Grundlage vertraglicher oder gesetzlicher Regelungen die Prämien neu festsetzen und unter Umständen auch unberechtigte Leistungsansprüche zurückweisen."
In einer Studie von 2022 mit dem Titel "Verbindlichkeit und Verlässlichkeit in der privaten Krankentagegeldversicherung" hatte Premium Circle gewarnt, dass der Versicherer sogar während des Leistungsfalls – trotz vorangegangener Beitragszahlung – das KTG herabsetzen kann, wenn das Nettoeinkommen aus beruflicher Tätigkeit in den letzten zwölf Monaten entsprechend niedriger als das versicherte KTG war.
Negatives Überraschungspotenzial verringern
Die Herabsetzung – im Zweifel bis auf null – droht, wenn der Kunde im zurückliegenden vollen Jahr schon Lohnfortzahlung oder KTG bekam. "Beides zählt vertragsgemäß nicht als Nettoeinkommen aus beruflicher Tätigkeit und kann bei der KTG-Ermittlung im erneuten Krankheitsfall abgezogen werden", so Gorrr weiter. Darauf nehmen marktübliche Ratings keinen Bezug. Premium Circle hatte daher die Vertragswerke von 28 PKV-Versicherern im Hinblick auf die vertraglich garantierten Leistungen analysiert und bei 21 Gesellschaften die Leistungen im KTG-Fall als "mangelhaft" bewertet, bei den restlichen sieben Gesellschaften gar als "ungenügend".
Alle KTG-Tarife beinhalten laut Gorr bis heute ein "hohes negatives Überraschungspotenzial". Die Versicherer könnten sich jederzeit auf unklare Klauseln berufen und die Leistungen kürzen. Premium Circle sieht daher dringenden Handlungsbedarf zur Reformierung (Paragraf 4 Absatz 2 und 4 MB/KT 2009 bzw. der jeweiligen Vertragsbedingungen der PKV-Versicherer). "Das Glücksspiel muss endlich aufhören", so der Premium-Circle-Chef. Dazu könnte das neue BGH-Urteil einen Akzent gesetzt haben. (dpo)