Rentenversicherung: Staat erstattet zu wenig Leistungen
Bis 2027 kürzt der Staat die milliardenschweren Bundeszuschüsse für die Rentenkasse weiter, obwohl Beitragszahler immer stärker für gesamtgesellschaftliche, versicherungsfremde Leistungen herangezogen werden. Hintergründe zeigte die DRV Bund bei einem Fachseminar auf.
Rund 37 Millionen Beitragszahlern stehen aktuell rund 21,2 Millionen Rentner gegenüber, rechnete Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund), am Donnerstag (22.5.) bei einem Fachseminar vor. Die Ausgaben beliefen sich nach vorläufigen Zahlen für 2024 auf 397,4 Milliarden Euro (2023: 374 Milliarden Euro). Die Einnahmen bezifferte Imke Brüggemann-Borck, Leiterin des Dezernats "Finanzierung und Verteilung" der DRV Bund, auf nur 396,6 Milliarden Euro.
Die Beiträge der Versicherten nehmen mit 77 Prozent die größte Position bei den Einnahmen ein. Davon sind 89,1 Prozent Pflichtbeiträge aus Erwerbstätigkeit, mit großem Abstand folgen Beiträge des Bundes für Kindererziehungszeiten (5,9 Prozent) und Beiträge aus der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (je 1,4 Prozent). Zwar schießt der Bund jedes Jahr Milliarden an Steuermitteln zu, um eine Überforderung der Rentenversicherung zu verhindern.
Bund hat Erstattungen seit 2022 massiv gekürzt
Doch diese Zuschüsse reichen nicht und werden seit 2022 auch massiv gekürzt – aus rein haushälterischen Gründen. "Die Kürzungen summieren sich allein zwischen 2022 und 2027 auf 6,8 Milliarden Euro", sagte Edgar Kruse, Leiter des Dezernats "Statistische Analysen" der DRV Bund. Der Staat plündert also die Rentenversicherung aus, wie es kürzlich die "Wirtschaftswoche" ausdrückte.
"Gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssen aber aus Steuern finanziert werden und nicht aus Beitragseinnahmen der Rentenversicherung", stellte Kruse klar. Solche Aufgaben seien zum Beispiel die Finanzierung von Leistungen im Rentenrecht, denen keine Beiträge gegenüberstehen, etwa vorgezogene abschlagsfreie Altersrenten, Fremdrenten bei Zuwanderung oder zwei Erhöhungsrunden bei "Mütterrenten". Andere nicht beitragsgedeckte Leistungen, auch versicherungsfremde Leistungen genannt, seien die Übernahme der Beitragszahlung in bestimmten Lebenslagen, Beiträge des Bundes für Kindererziehungszeiten oder die Finanzierung von Leistungen, die mit der deutschen Wiedervereinigung zu tun haben.
Wofür Bundesmittel eingesetzt werden
Um diese Aufgaben, die primär nichts mit der Finanzierung durch die Rentenversicherung zu tun haben, zu bewältigen, stehen an zweiter Stelle der DRV-Einnahmen die sogenannten Bundeszuschüsse, die aus Steuern finanziert werden. Treffender wäre der Begriff "Erstattungen", denn die Rentenversicherung organisiert und bezahlt diese Zusatzleistungen. Bundeszuschüsse machten für 2024 nach vorläufigen Berechnungen 87,8 Milliarden Euro aus (2023: 84,3 Milliarden Euro).
Hinzu kommen 29,2 Milliarden Euro weitere Bundesmittel, etwa 18,1 Milliarden Euro an Beiträgen für Kindererziehungszeiten und 6,0 Milliarden Euro für Ansprüche aus der früheren DDR-Zusatzversorgung. Unterm Strich erhielt die DRV 2024 also 117 Milliarden Euro Bundesmittel (2023: 112,5 Milliarden Euro), Tendenz steigend.
Eigentlicher Bundeszuschuss leicht gesunken
"Der Bundeszuschuss ist mit 22,45 Prozent der Einnahmen relativ konstant“, meinte dagegen DRV-Chefin Roßbach bereits im Vorjahr. Für 2024 sinkt der Anteil vorläufigen Zahlen zufolge sogar leicht auf 22,1 Prozent. "Mit den Zuschüssen wird nicht die Rentenversicherung subventioniert; vielmehr wird ihr ein Großteil der Kosten nicht beitragsgedeckter Leistungen erstattet, die die DRV für den Bund erbringt, ohne dafür Beiträge erhalten zu haben", erklärte Brüggemann-Borck.
Der Bund belastet das System immer wieder neu mit Leistungen, die mit der Rente im engeren Sinne gar nichts zu tun haben. Aktuell gibt es Bestrebungen im Koalitionsvertrag, das Rentenniveau bei 48 Prozent festzuschreiben und die sogenannte Mütterrente III umzusetzen. Beide Vorhaben werden die Beitragszahler perspektivisch noch stärker belasten. "Die Ausweitung der Mütterrente kostet fünf Milliarden Euro pro Jahr, aber zur Finanzierung steht nichts im Sondierungspapier", sagte Roßbach. Würde die Finanzierung allein der Rentenkasse aufgebürdet, ließe das den Beitragssatz um 0,25 Prozentpunkte steigen. "Dann würden wir schon 2027 bei einem Beitragssatz von über 19 Prozent landen", so die DRV-Chefin weiter.
DRV sieht keine Pleite-Gefahr
Dennoch wird das System nicht wegen Unterfinanzierung kollabieren, meinte Brüggemann-Borck. Die permanente Überprüfung der Finanzen erfolge über den Rentenversicherungsbericht, den die Bundesregierung jährlich veröffentlicht. Dort werde die Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dargestellt. Diese Fortschreibungen und Projektionen sorgten laut Brüggemann-Borck für eine praktikable Finanzierung.
"Zusätzliche Finanzbedarfe werden ausgewogen auf Beitragszahler, Rentenbezieher und den Bund verteilt", so die Expertin schon im Vorjahr. Der Ausgleich von Ausgaben und Einnahmen sei gesetzlich geregelt. Zweifel an der Ausgewogenheit sind angebracht. Viele Rentenleistungen werden aktuell nicht adäquat mit Beiträgen bezahlt. Folgende Übersicht zeigte Statistiker Kruse beim Fachseminar.
Quelle: DRV Bund
Keine gesetzliche Definition versicherungsfremder Leistungen
Diese Ausgaben summierten sich 2023 auf bis zu 124,1 Milliarden Euro, schätzte Kruse. Abzüglich der Bundeszuschüsse von 84,3 Milliarden Euro blieb die DRV 2023 demnach auf bis zu 40 Milliarden Euro sitzen, die den Beitragszahlern aufgebürdet wurden. Problem: Eine klare und transparente Definition fehlt im Gesetz, was überhaupt unter nicht beitragsgedeckten Leistungen zu verstehen ist. Dies verführt offenbar die Politik immer wieder, in die Rentenkasse zu greifen.
Die DRV kritisiert dies sehr diplomatisch: "Höhe und Fortschreibung der Bundeszuschüsse orientieren sich nicht an Höhe und Entwicklung der nicht beitragsgedeckten Leistungen", so die Referenten beim Fachseminar. Kürzungen der Bundeszuschüsse belasteten vor allem die Versicherten und die Arbeitgeber und führten eben nicht zu Einsparungen. Die DRV fordert daher, die Zuschüsse in angemessener und adäquater Weise zu erhöhen – allein für die Mütterente III und das Aussetzen des Nachhaltigkeitsfaktors bis 2031 würden zusätzlich pauschal 5,0 Milliarden Euro Erstattung pro Jahr fällig.
Beitragssatz als maßgebliche Stellschraube
"Die Stellschraube zum Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben ist der Beitragssatz, nicht aber der Bundeszuschuss", so Brüggemann-Borck. Klar ist aber auch: Durch eine weitere Belastung würden Arbeitgebern und Arbeitnehmern noch mehr Mittel fehlen, um die dringend nötige Zusatzvorsorge fürs Alter zu stemmen, etwa für Betriebsrenten oder private Vorsorge. Würde zudem durch Ausschaltung des Nachhaltigkeitsfaktors in die gesetzliche Rentenformel eingegriffen, müssten die Beitragszahler mehr berappen und Rentner kleinere Rentenerhöhungen hinnehmen als gewohnt. (dpo)