"Unabhängigkeit gehört zum Selbstverständnis des Maklers"
Norman Wirth, geschäftsführender Vorstand des Branchenverbands AfW, im Interview mit FONDS professionell ONLINE über das drohende Provisionsverbot aus Brüssel, die wirtschaftliche Lage der Vermittler und die Frage, ob KI in absehbarer Zukunft Finanzberater ersetzen kann.
Bereits seit dem Jahr 2006 steht Norman Wirth an der Spitze des AfW Bundesverband Finanzdienstleistung. FONDS professionell ONLINE traf den 55-jährigen Juristen in der Berliner Zentrale des Vermittlerverbandes zum Interview.
Herr Wirth, die EU-Kleinanlegerstrategie könnte im schlimmsten Fall ein Provisionsverbot für die Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten bringen, sofern der Makler sich unabhängig nennt. Damit wären Courtagen zumindest in diesem Bereich passé, oder?
Norman Wirth: Das ist genau der Punkt, der uns zuletzt am meisten umtrieb. Ein Gutachten des Europarechtlers Hans-Peter Schwintowski kam zu dem Schluss, dass der Vorschlag der EU-Kommission genau das aussagt. Und da Versicherungsmakler per se unabhängig sind und agieren, käme das einem Provisionsverbot gleich. Hier prallen unterschiedliche deutsche und europäische rechtliche Sichtweisen auf das Thema Unabhängigkeit aufeinander. Heißt unabhängig, dass man aus der ganzen Marktbreite das passende Produkt für den Kunden sucht oder dass man nicht von einem Produktgeber für die Vermittlung eines seiner Produkte vergütet wird? Teilweise wird empfohlen, der Makler sollte künftig im provisionsbasierten Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten klarstellen, dass er zwar nicht persönlich von einem bestimmten Versicherer abhängig ist, dass die von ihm angebotene Dienstleistung aber "nicht unabhängig" erfolgt, weil er wirtschaftlich gesehen auf Provisionszahlungen angewiesen ist. Sein Status ist und bleibt aber unabhängig. Wenn dem Kunden beides in der Erstinformation mitgeteilt wird, sollte die Kuh vom Eis sein, heißt es.
Das wäre doch immerhin ein Kompromiss.
Wirth: Ich halte das persönlich für Unfug und dem Status und auch Selbstverständnis der Mehrheit der Makler nicht für angemessen. Zum einen wird ja über die Kundenerstinformation bereits über Art und Herkunft der Vergütung ganz grundsätzlich informiert. Diese Erstinformation soll bereits beim ersten Kundenkontakt übergeben werden. Doch zu diesem Zeitpunkt ist in der Regel noch gar nicht klar, ob eine provisionsbasierte Police oder vielleicht auch ein Nettoprodukt oder gar nichts oder nur eine Servicepauschale das Ergebnis der Beratung sein wird. Wichtiger erscheint mir aber die Frage des Selbstverständnisses der Maklerschaft. Viele Makler sind ganz bewusst aus der Ausschließlichkeit oder aus Strukturvertrieben raus, weil sie aus der Breite des Marktes, ohne Vertriebsvorgaben, unabhängig und selbstständig für ihre Kunden handeln wollen. Ihnen jetzt vorzugeben, dass sie sagen sollen, einerseits unabhängig und anderseits in Bezug auf die Vergütung nicht unabhängig zu sein – das versteht doch keiner.
Wäre es da nicht einfacher, den entsprechenden Passus aus dem Entwurf der Kleinanlegerstrategie ersatzlos zu streichen?
Wirth: Ja, absolut. Wir sind noch guter Hoffnung, dass wir hier zu einem klaren Ergebnis kommen, und bleiben vorsichtig optimistisch, dass ein solches Provisionsverbot aufgrund der Positionen des Europäischen Parlaments sowie des Rats der Europäischen Union nicht umgesetzt wird. Die künftige EU-Finanzkommissarin Maria Luís Albuquerque können wir bisher noch nicht gut einschätzen. Sie hat aber in einer Anhörung Anfang November vor dem EU-Parlament offenbar ihre Kompetenz bewiesen.
Wie wirkt sich die Debatte um Unabhängigkeit und Provisionsbegrenzungen auf die Gewinnsituation der Vermittler aus?
Wirth: Sie wirkt sich offensichtlich nicht relevant aus. Im Durchschnitt erzielte ein freier Finanzvermittler zuletzt 243.000 Euro Umsatz und 79.000 Euro Gewinn. Das sind im Schnitt 20 Prozent mehr Umsatz und gut fünf Prozent mehr Gewinn als im Jahr davor, zeigte die 16. Auflage unseres AfW-Vermittlerbarometers, die Ende 2023 veröffentlicht wurde. Aus der Umfrage ging aber auch hervor, dass jeder zweite Vermittler weniger als 50.000 Euro Gewinn im Jahr erwirtschaftet – ein leichter Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Neuere Zahlen gibt es erst zum Jahreswechsel, wenn unsere aktuell noch laufende Online-Branchenumfrage ausgewertet ist. Wir rechnen nach erster Auswertung der neuen Daten mit einer nicht unerheblichen Steigerung des Umsatzes dicht an die Marke von 300.000 Euro und des Gewinns in Richtung 90.000 Euro.
Bei der Betriebsrente in Deutschland steht eine Reform an. Mit welchen Konsequenzen für die unabhängigen Berater rechnen Sie, wo doch das Sozialpartnermodell möglichst ohne Vertriebskosten auskommen soll?
Wirth: Wir sehen aktuell keine für unsere Mitglieder wirklich relevanten Änderungen. Zur Erinnerung: Ein Herangehen ohne qualifizierte Beratung, die nun mal Geld kostet und auf Online-Portalen kaum möglich ist, ging schon in den ersten Jahren der Riester-Rente schief, bis man die Provisionen erhöhte – übrigens auch für die Riester-bAV. Letztendlich entscheidet aber der Arbeitgeber über die Tiefe der bAV-Beratung, da er sie meist bezahlen muss. Makler punkten naturgemäß bei klassischer bAV à la Entgeltumwandlung plus Pflichtzuschuss des Arbeitgebers mehr als beim rein tariflich erlaubten Sozialpartnermodell.
Im Beratungsgespräch werden zunehmend digitale Tools eingesetzt. Löst künstliche Intelligenz den Berater in absehbarer Zeit oder auf lange Sicht ab?
Wirth: Nein, absehbar nicht. KI kann Daten analysieren, Empfehlungen aussprechen, zunehmend besser kommunizieren. Aber sie kann keine menschlichen Bindungen schaffen und keine menschliche Intuition ersetzen. Vermittler sind die Vertrauenspersonen ihrer Kunden, die in unsicheren Zeiten Sicherheit bieten. Die Zukunft gehört jenen, die KI als Werkzeug nutzen, um effizienter zu werden. Vermittler sollten die Chancen nutzen, die KI bietet, um ihren Kunden bessere Dienstleistungen zu bieten, beispielsweise wenn es darum geht, personalisierte Empfehlungen zu erstellen. Es heißt daher nicht "KI oder Mensch", sondern "KI und Mensch". Denn: Vergessen wir bei aller Begeisterung um den derzeitigen Quantensprung der Technologie nicht den unschätzbaren Wert von Vertrauen und persönlicher Beratung!
Vielen Dank für das Gespräch. (dpo)
Ein ausführliches Interview mit Norman Wirth lesen Sie in Ausgabe 4/2024 von FONDS professionell, die den Abonnenten in den kommenden Tagen zugestellt wird.