"Wir brauchen eine starke europäische Kapitalmarktunion"
Die finanzpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Katharina Beck, erklärt im Interview mit FONDS professionell, wie sie zu wichtigen Themen wie Provisionsverbot, einer Reform der Altersvorsorge oder der Förderung des Finanzstandorts Deutschland steht.
Nachdem die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags über ein Vierteljahr zurückliegt, hat FONDS professionell die finanzpolitischen Sprecher fast aller im Bundestag vertretenen Parteien in Berlin besucht. Sie haben zu wichtigen Fragen der Finanzpolitik, zu aufsichtsrechtlichen Themen sowie zur Reform der privaten Altersvorsorge Stellung genommen. Heute bezieht Katharina Beck (Bündnis 90/Die Grünen) Position.
Frau Beck, vor der Bundestagswahl hatten Teile der Finanzbranche die Einführung eines Provisionsverbots befürchtet. Ein solches Verbot findet sich jedoch nicht im Koalitionsvertrag. Sehen Sie das positiv?
Katharina Beck: Zuerst einmal finde ich es wichtig, dass Verbraucher, die eine Finanzberatung in Anspruch nehmen, wissen, dass diese Dienstleistung etwas kostet. In der Debatte um Provisions- und Honorarmodell kommt oft der Aspekt zu kurz, dass Berater für gute Arbeit auch gut entlohnt werden müssen. In der provisionsbasierten Finanz- und Versicherungsberatung herrscht in Bezug auf die Entlohnung aber häufig Intransparenz. Vielen Kunden ist zum Beispiel unklar, ob ihre ersten Einzahlungen bereits verzinst oder lediglich für die Provision verwendet werden. Hier müssen wir dafür sorgen, dass Verbraucher wirklich Vertrauen in die Beratung bekommen. Das kann man erreichen, indem man den Interessenkonflikt, den es ja geben kann, offen adressiert und Transparenz schafft.
Dann machen Sie sich also nicht für eine Abschaffung des Provisionsmodells stark?
Beck: Nicht jeder Kunde kann es sich leisten, für eine Beratung auf einen Schlag eine hohe Summe zu zahlen. Da können Alternativen hilfreich sein. Aber es kommt darauf an, echte Transparenz zu schaffen, damit Verbraucher tatsächlich wissen, wie viel sie wofür bezahlen. Mir ist es enorm wichtig, dass der Vertrauensverlust, zu dem es vor vielen Jahren durch die Arbeit der Strukturvertriebe gekommen ist, wieder aufgeholt wird. Denn es ist ja klar, dass die Bundesbürger dringend privat für ihr Alter vorsorgen müssen. Dafür sollten sie auch Geld am Kapitalmarkt anlegen. Ich möchte, dass Menschen finanziell selbstbestimmt leben können. Fast die Hälfte der Deutschen hat aber mit weniger als 2.000 Euro noch nicht einmal den berühmten Notgroschen an Rücklagen oder Ersparnissen zum Abpuffern kurzfristiger Schwierigkeiten. Für viele liegt also der Spielraum, sich finanziell gut abzusichern und am Kapitalmarkt mitzumachen, in ganz schöner Ferne. Gerade diejenigen mit wenig Spielraum brauchen ein Bezahlmodell, das sie sich leisten und in das sie vertrauen können.
Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, dass die Finanzaufsicht Bafin mehr Kontrollbefugnisse bekommen soll. Sollten Ihrer Ansicht nach Finanzanlagenvermittler mit Erlaubnis nach Paragraf 34f Gewerbeordnung unter die Aufsicht der Behörde gestellt werden?
Beck: Ja, unter Gesichtspunkten des Verbraucherschutzes können wir Grüne uns gut eine Kontrolle der Bafin über 34f-Vermittler vorstellen. Auch da muss es aus meiner Sicht das Ziel sein, dass die Verbraucher vertrauen können. Und eine gute, einheitliche Aufsicht könnte das Vertrauen stärken. Aber die Kontrolle muss vernünftig sein. Ich bin gespannt, wie die schwarz-rote Koalition die Sache konkret angehen will.
Im Koalitionsvertrag ist zu lesen, die bisherige Riester-Rente solle in ein neues Vorsorgeprodukt überführt, von bürokratischen Hemmnissen befreit und grundlegend reformiert werden. Das erinnert an das von der FDP konzipierte Altersvorsorgedepot. Wie stehen Sie zu diesen Plänen?
Beck: Ich finde es äußerst begrüßenswert, wenn in dieser Richtung etwas kommt. Die Reform der privaten Altersvorsorge war ein Bereich, in dem wir als Ampel gute Sachen vorangetrieben haben. Da lagen wir mit der FDP nicht so weit auseinander. Wir Grünen haben ja auch ein liberales Gen, einer unserer fünf Grundwerte lautet Selbstbestimmung und Freiheit. Den Referentenentwurf für das Altersvorsorgedepot haben wir uns genau angeschaut. Ich finde das sehr spannend und kann mir gut vorstellen, dass es damit jetzt weitergeht. Man muss natürlich sehen, was dann mit den Bestandsverträgen passieren soll, und wie man etwas Gutes aufbauen kann, das Vertrauen erzeugt. Dafür sollte das Altersvorsorgedepot klar, leicht verständlich und effektiv sein. Und wenn es so kommt, dann freue ich mich.
Die Bundesregierung plant auch eine sogenannte "Frühstart-Rente". Ist das aus Ihrer Sicht eine gute Sache?
Beck: Mit der "Frühstart-Rente" würde man unverzinst bei 1.440 Euro landen, wenn man 18 Jahre alt ist. Lassen Sie es inklusive Rendite 3.000 Euro sein. Auch das wird natürlich nicht reichen, um im Alter davon leben zu können. Aber es ist insofern ein guter Ansatz, weil junge Menschen den Mechanismus der Geldanlage einüben und lernen, dass es wichtig ist, privat vorzusorgen. Es ist eins der wenigen Projekte der schwarz-roten Koalition, die ich lobe, denn die Grundidee ist gut. Allerdings müssen ein paar mögliche Verbesserungen, zum Beispiel beim Ertrag Zuzahlungsmöglichkeiten oder der bisher erst mit sechs Jahren vorgesehene Beginn, noch diskutiert werden.
Im Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, dass der Finanzplatz Deutschland gestärkt werden soll. Ist das auch nach Ihrer Meinung ein wichtiges Ziel?
Beck: Für mich ist das ein enorm wichtiges Ziel. Wir haben mittlerweile in Deutschland einen recht guten Standort für Start-ups, Seedfunding und Venture Capital sind verfügbar. Aber in der Later-Stage-Finanzierung haben wir eine große Lücke, nicht nur hierzulande, sondern in ganz Europa. Ich glaube, der Finanzplatz Deutschland muss in einer europäischen Kapitalmarktunion gestärkt werden. Gerade in der aktuellen geopolitischen Situation mit der extremen Entwicklung in den USA, der Abschottung und den Vorgaben, die von dort kommen, ist das entscheidend. Da das Later-Stage-Kapital in Europa nicht gut ausgebaut ist, wandern Unternehmen, wenn sie einmal wachsen, in die USA oder in andere Länder ab. Für den Wirtschaftsstandort ist es aber wichtig, dass sie hierbleiben. Ich sehe unfassbar großen Handlungsbedarf.
Wo zum Beispiel?
Beck: Neuere Industrieunternehmen stehen in puncto Fremdkapital oft vor ganz anderen Herausforderungen als alteingesessene. Da müssen wir an das Thema Bürgschaften und Garantien rangehen, damit wir neue florierende Unternehmen ansiedeln können und hier nicht nur die Innovation stattfindet, sondern auch die Wertschöpfung. Wir brauchen dafür einen robusten Finanzplatz Deutschland in einer starken europäischen Kapitalmarktunion.
Werden wir diese denn endlich bekommen? Verlautbarungen dazu gibt es schon seit Jahren immer wieder.
Beck: Ja, und ich finde es ermüdend, dass alle das seit vielen Jahren vor sich hertragen, aber in den Details kaum Fortschritte zu erkennen sind. Es geht um sehr mühsame Regelungen, zum Beispiel im Solvenzrecht oder im Kreditbesicherungsrecht. Da müssen in 27 Staaten Rechtssysteme angeglichen werden. Das muss man jetzt endlich mal angehen, weil es die Voraussetzung für eine europäische Kapitalmarktunion schafft. Dazu habe ich in den vergangenen vier Jahren viele schöne Reden gehört, aber es ist wenig passiert. Wir werden darauf hinwirken, dass nach dem Benennen des Ziels endlich wirklich an der Umsetzung gearbeitet wird.
Der Entwurf für das Standortfördergesetz sieht ja bereits bessere Finanzierungsmöglichkeiten für Start-ups und Scale-ups vor. Sind die geplanten Maßnahmen ausreichend?
Beck: Das Standortfördergesetz ist ein Gesetz aus Ampelzeiten, welches damals noch als Zukunftsfinanzierungsgesetz II firmierte und dem Ende der Regierung leider zum Opfer fiel. Es ist gut, dass die Koalition das Gesetz nun in den Bundestag eingebracht hat. Ein Ziel des Gesetzes ist die Förderung von Investitionen von Fonds in erneuerbare Energien und Infrastruktur. Wir sollten im parlamentarischen Verfahren nun sicherstellen, dass dieses Ziel auch wirklich erreicht wird. Aktuell sehe ich da noch Verbesserungsbedarf. Zusätzlich wäre es gewinnbringend, wenn die Koalition endlich ihre Zuständigkeitenrangelei rund um Start-ups klären und in die Arbeit kommen würde, etwa beim Ausbau der WIN-Initiative, die privates Kapital hebelt, 2024 aufgelegt wurde und eigentlich ausgebaut werden sollte. Hier ist leider noch nichts passiert.
Wechseln wir das Thema. Über eine Abschaffung der Abgeltungsteuer ist im Koalitionsvertrag nichts zu lesen. Wäre diese wünschenswert?
Beck: Das ist eine recht komplexe Frage. Einerseits ist die pauschale Besteuerung administrativ einfach. Andererseits haben wir natürlich ein Problem, weil Arbeit so hoch besteuert wird und für Kapitalerträge oder Erbschaften deutlich weniger Steuern gezahlt werden. Das ist eine Ungerechtigkeit, gerade wenn man, wie ein Herr Merz, vom Leistungsgedanken kommt. Da müsste man sich schon Gedanken machen, ob man die Abgeltungsteuer anhebt oder sie in den progressiven Tarif integriert. Ich möchte noch einmal anregen zu prüfen, was eigentlich Zweck der Abgeltungsteuer war, und ob dieser erfüllt ist. Wir müssen schon das Ziel haben, Arbeit zu entlasten und nicht Menschen, die von ihren Kapitalerträgen leben können, deutlich geringer zu belasten.
Und zum Schluss: Welche Projekte verfolgen Sie in dieser Legislaturperiode?
Beck: Ganz viele, aber das erste ist die Later-Stage-Finanzierung von Wachstumsunternehmen, damit wir die Zukunft der Wirtschaft in Europa gut gestalten können. Mir ist die Stärkung des europäischen Finanzstandorts maximal wichtig, damit wir eine vielfältige, florierende Wirtschaft haben können. Zudem engagiere ich mich stark dafür, steuerliche Gerechtigkeitslücken zu schließen, die den Staat allein in der Erbschaft- und Immobilienbesteuerung jährlich rund 15 Milliarden Euro kosten. Ebenso möchte ich die Verfolgung organisierter Steuerhinterziehung wie bei Cum-Cum-Geschäften stärken, damit es bei der Besteuerung fair zugeht.
Vielen Dank für das Gespräch. (am)
Zu allen Fragen haben auch bereits Stellung genommen:
Michael Schrodi, SPD
Fritz Güntzler, CDU
Christian Görke, Die Linke
Einen Bericht über die Standpunkte der Finanzexperten fast aller im Bundestag vertretenen Parteien zu aktuellen Fragen der Finanz- und Steuerpolitik, zu aufsichtsrechtlichen Themen und zur Altersvorsorge finden Sie in der aktuellen Ausgabe 3/2025 von FONDS professionell, die den Abonnenten in diesen Tagen zugestellt wird.














